Berufsleben und Neuorientierung
Als Englischdozentin (1955–64) während der Bürgerrechtsbewegung
Nach Beendigung des Studiums begann für Chloe Wofford ein neuer Lebensabschnitt. Ausgebildet an zwei der besten Universitäten Amerikas, war es nun an ihr, das erworbene Wissen weiterzugeben. Sie unterrichtete zunächst an der Texas Southern University in Houston Englisch, eine Tätigkeit, der sie von Anfang an mit Freude und Erfolg nachkam. Obwohl sie weniger als zwei Jahre dort verbrachte, war diese Zeit im Süden von außerordentlicher Bedeutung, denn hier richtete sie zum ersten Mal ihren Blick auf die afroamerikanische Kultur im weiteren Sinne.
Texas Southern war eine Universität für Schwarze, die sich in vielem von der Howard University unterschied. Ursprünglich als das Houston College for Negroes bekannt, stiftete der Staat Texas 1947 die Gelder für die Gründung einer vollständigen Universität mit einer Vielfalt von Studienbereichen. Außer den traditionellen Geistes- und Naturwissenschaften gab es die Möglichkeit, sich in Pharmakologie, Zahnheilkunde, Journalismus, Pädogogik, Jura, Medizin und anderen Berufsfeldern ausbilden zu lassen. Diese Art von nicht-elitärer höherer Bildung war neu für die junge Dozentin. Neu war auch die «Negro History Week», die Tatsache, dass man sich alljährlich eine Woche lang intensiv mit der eigenen, der «Negergeschichte» befasste.
Im Süden gab es zudem eine aktive schwarze Presse, im Gegensatz zu Lorain, wo man sich mit Wochenzeitungen aus anderen Regionen begnügen musste. Dort hatte man nur die Wahl zwischen «Call and Post», dem seit 1915 bestehenden Organ der naheliegenden Stadt Cleveland, und dem elitären, vor allem an die gut situierten schwarzen Leser gerichteten «Pittsburgh Courier», der seit 1910 als landesweite Ausgabe erschien. In Houston hingegen gab es Tageszeitungen, die über lokale, nationale und internationale Ereignisse aus der Perspektive der schwarzen Amerikaner berichteten.
Schwarz sein, gab Toni Morrison viel später zu, war ihr bis dahin als nicht besonders wertvoll erschienen. Nun aber sah sie ihre Familie mit neuen Augen, als Teil eines größeren Ganzen und als Ergebnis einer gemeinsamen Geschichte. Zwar war sie schon immer stolz auf ihre Familie gewesen, hatte sie jedoch als Ausnahmefall betrachtet, als eine Versammlung besonderer Menschen, die Außergewöhnliches vollbracht hatten.Ich meine nicht öffentlich erfolgreich, sondern […] in der Art, wie sie Krisensituationen und lebensbedrohliche Umstände bestanden, so dass, wenn ich mich später selber in einer kritischen Situation befand, ich ganz konkret an diese Menschen dachte und mir sagte: «Also wenn sie das tun konnten, kann ich es auch». […] Jetzt aber dachte ich an alle Bücher, die meine Mutter zu Hause hatte, […] und all die unglaublichen Gespräche meines Großvaters und die Argumente, die mir damals Kopfschmerzen bereiteten […], nahmen plötzlich eine andere Bedeutung an. […] 1957 oder 1958 begann ich über die schwarze Kultur als Thema, als Idee, als Disziplin nachzudenken. (Conv, S. 174)
Chloe Woffords erwachendes schwarzes Selbstbewusstsein fiel zusammen mit der seit Anfang der fünfziger Jahre immer stärker werdenden neuen Bürgerrechtsbewegung.[23] Der Zweite Weltkrieg hatte nicht nur den Frauen, sondern auch den ethnischen Minderheiten neue Arbeitsgelegenheiten geboten und somit Hoffnungen auf ein besseres Leben und eine gerechtere Behandlung geweckt. Die Nachkriegszeit erfüllte diese Erwartungen jedoch nicht. Wohl kam es zu einer Reihe von Gerichtsurteilen, die darauf abzielten, die Rassentrennung und damit die Ungleichheit abzubauen. Doch änderte sich dadurch wenig an der allgemein benachteiligten Stellung der schwarzen Bevölkerung und den Gewalttätigkeiten, denen sie vonseiten der Weißen ausgesetzt war.
Im Süden glich ihr Status dem der Leibeigenen. Dort