Vorwort
Von Sally Fallon Morell
Seit den Anfängen der Menschheit sind Medizinmänner und Ärzte der Frage nachgegangen, was Krankheiten verursacht und was »Ansteckungen« sind – warum zahlreiche Menschen zur selben Zeit erkranken und ähnliche Symptome aufweisen. Sind derartige Ausbrüche die Rache eines erzürnten Gottes oder eines bösen Geistes? Eine Störung in der Atmosphäre? Ein Pesthauch? Bekommen wir die Krankheit von anderen, oder nimmt sie durch irgendeinen äußeren Einfluss von uns Besitz?
Durch die Erfindung des Mikroskops im 17. Jahrhundert und die Entdeckung von Bakterien bekamen Mediziner einen neuen Kandidaten, den sie verantwortlich machen konnten: winzige, einzellige Organismen, die Menschen durch Kontakt und Ausatmung weitergeben konnten. Aber die Theorie von den Krankheitskeimen verbreitete sich erst 200 Jahre später durch den berühmten Wissenschaftler Louis Pasteur. Sie wurde bald als Erklärung für die meisten Krankheiten herangezogen.
Bis zu der Erkenntnis, dass auch ernährungsbedingte Defizite für Krankheiten wie Skorbut, Pellagra und Beriberi ursächlich sein können, dauerte es Jahrzehnte. Bis dahin wurde die Theorie von den Krankheitskeimen als Erklärung für alles herangezogen, was den Menschen plagt. Als Robert R. Williams, einer der Entdecker des Thiamins (B1), beklagte, »alle jungen Ärzte waren so besessen von der Vorstellung der Infektion als Krankheitsursache, dass es gegenwärtig als fast axiomatisch unanzweifelbar akzeptiert wird, dass Krankheit keine andere Ursache (als Mikroben) haben kann. Die Voreingenommenheit der Ärzte, Infektion sei die Ursache für Krankheit, war zweifellos verantwortlich dafür zu übersehen, dass der wahre Grund für Beriberi in der Ernährung liegt.«1
Während der Pandemie der Spanischen Grippe von 1918, dem tödlichsten Beispiel für eine ansteckende Krankheit in der jüngsten Geschichte, hatten Ärzte Mühe, die globale Reichweite zu erklären. Geschätzte 500 Millionen Menschen infizierten sich – etwa ein Drittel der Weltbevölkerung –, und 20 bis 50 Millionen starben daran. Die Seuche schien spontan in verschiedenen Teilen der Welt auszubrechen, traf Junge und Gesunde, darunter auch viele amerikanische Soldaten. Manche Gemeinden schlossen Schulen, Geschäfte und Theater, und die Leute wurden angewiesen, Masken zu tragen und sich nicht mehr die Hand zu geben, um die Ansteckung zu unterbinden.
Aber war die Spanische Grippe wirklich ansteckend? Die Gesundheitsbehörden jener Zeit glaubten, die Ursache wäre ein Mikroorganismus mit dem Namen Pfeiffer-Bakterium, und wollten herausfinden, wie der Erreger sich so schnell ausbreiten konnte. Deshalb versuchten US-Ärzte vom Öffentlichen Gesundheitsdienst hundert gesunde Freiwillige zwischen 18 und 25 Jahren zu infizieren, indem sie aus Nase, Rachen und oberen Atemwegen von Erkrankten Schleimsekrete entnahmen.2 Diese übertrugen sie in Nase, Mund und Lungen der Freiwilligen, aber keiner von ihnen wurde krank. Das Blut infizierter Spender wurde den Freiwilligen injiziert, doch sie blieben hartnäckig gesund. Schließlich wies man die Erkrankten an, die Freiwilligen anzuatmen und anzuhusten, aber die Ergebnisse waren die gleichen: Die Spanische Grippe war nicht ansteckend, und die Ärzte konnten dem beschuldigten Bakterium nichts nachweisen.
Pasteur glaubte, der gesunde menschliche Körper sei steril und erkranke nur dann, wenn Bakterien in ihn eindrängen – eine Sichtweise, die die Praxis der Medizin über ein Jahrhundert lang dominieren sollte. In den vergangenen Jahren konnte eine komplette Umkehr des herrschenden medizinischen Paradigmas, dass nämlich Bakterien uns angreifen und krank machen, beobachtet werden. Wir haben gelernt, dass der Verdauungstrakt eines gesunden Menschen bis zu 2,5 Kilogramm Bakterien beherbergt, die viele gute Funktionen ausüben – sie schützen uns vor Toxinen, unterstützen das Immunsystem, helfen, unsere Nahrung zu verdauen, erzeugen Vitamine und produzieren sogar »Wohlfühl«-Chemikalien. Bakterien, die die Haut bedecken und den Vaginaltrakt auskleiden, üben ebenfalls eine Schutzfunktion aus. Diese Entdeckungen stellen viele derzeitige medizinische Maßnahmen infrage – von Antibiotika bis hin zum Händewaschen. Tatsächlich sind Forscher in ihrem Bemühen zu beweisen, dass Bakterien – außer als Mitwirkende unter extrem unnatürlichen Bedingungen – uns krank machen, ziemlich frustriert.
Louis Pasteur fand kein Bakterium, das Tollwut hervorrufen konnte, und er spekulierte über ein Pathogen, das zu klein war, um unter dem Mikroskop entdeckt zu werden. Die ersten Bilder dieser winzigen Partikel – nur etwa ein Tausendstel so groß wie eine Zelle – erhielt man nach der Erfindung des Elektronenmikroskops 1931. Diese Viren – von lateinischvirus für »Gift« – wurden sofort als gefährliche »Ansteckungserreger« eingestuft. Ein Virus ist kein lebender Organismus, der sich selbst reproduzieren kann, sondern eine Ansammlung von Proteinen und DNA- oder RNA-Bruchstücken, die von einer Membran umschlossen sind. Da sie in und um lebende Zellen herum zu sehen sind, nahmen Forscher an, dass Viren sich nur in der lebenden Zelle eines Organismus reproduzieren. Man glaubt, dass diese überall verbreiteten Viren »alle Arten von Lebensformen infizieren können, von Tieren und Pflanzen bis zu Mikroorganismen, einschließlich Bakterien und Archaeen«.3
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