Einige Worte vorab
von Reuven Moskovitz
Geprägt von meinen Kindheitserlebnissen als verfolgter rumänischer Jude während des Zweiten Weltkrieges und anschließend im frühen Israel geformt, ist mir Versöhnung nicht nur ein Herzensbedürfnis, sondern zugleich politische Überlebensnotwendigkeit. So bin ich der Bitte um Mitarbeit am vorliegenden Buch ohne Zögern nachgekommen.Während Wolfgang Effenberger das riesige Material zusammengetragen und strukturiert hat, bestand mein Part vor allem in sachgerechter Moderation und Ausgestaltung – immer bemüht, die Sachverhalte korrekt darzustellen. Dabei weiß zumindest jeder Historiker, dass dieser Versuch aus vielerlei Gründen nie ganz gelingen kann.
Eine friedliche Gestaltung der Zukunft erfordert neben dem Verständnis der gegenwärtigen Situation auch die Offenlegung zurückliegender Entwicklungsstränge und deren verantwortungsvolle Interpretation. So ist die mit der verbrecherischen NS-Ära verbundene Tragik nicht allein in der Vergangenheit zu verorten, sondern zeigt sich bis heute in Versäumnissen, Nachwirkungen und verantwortungslosem Schweigen angesichts gegenwärtiger Untaten, speziell im Nahen Osten. Es reicht nicht aus, Vorurteile zu überwinden – der Blickwinkel muss geweitet, ja teilweise grundsätzlich verändert werden. Das vorliegende Buch will diesbezüglich dazu beitragen, die Geschichte von Mythen und verankerten Bildern zu befreien. Die tief sitzende Schuldidentität der Deutschen, welche der Opferidentität der meisten Juden gegenübersteht, führte etwa zu vielen Missverständnissen sowie zu einer geradezu krankhaften Verlegenheit und willigen politischen Blindheit gegenüber der israelischen Politik. Dieses Thema habe in meinem Essay »Juden und Deutsche – Symbiose zwischen Aufklärung und Verklärung« vertieft. Sie finden ihn als Epilog am Ende des Buchs.
Unzählige, in Büchern, Artikeln und Abhandlungen festgehaltene Meinungen gibt es zum Thema deutsch-jüdische Symbiose. Man vergisst dabei – oder bemüht sich zu vergessen –, dass die jüdische Geschichte seit Jahrtausenden von erfolgreichen Symbiosen begleitet wurde, die dann häufig in tragischer Weise endeten. Ben-Gurion prägt die inzwischen zum Mythos verfestigte Ansicht, dass sich die jüdische Geschichte außerhalb des Landes Israel/Palästina von einem Pogrom zum nächsten bzw. von einer Vertreibung zur nächsten bewegt habe. Auch wenn es teilweise stimmt, ist es als absolute Aussage so historisch nicht haltbar, wie Shlomo Sand in seinem Buch »Wie das jüdische Volk erfunden wurde« nachgewiesen hat. Die Verfälschung der Geschichte fand sogar in der von Ben-Gurion mitverfassten israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948 Eingang, die voller historischer Halbwahrheiten und zu »Wahrheit« gewordener theologischer Mythen steckt. So wird etwa an erster Stelle festgehalten:»Im Lande Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen. Hier lebte es frei und unabhängig, Hier schuf es eine nationale und universelle Kultur und schenkte der Welt das Ewige Buch der Bücher.«
Die jüdisch-israelische Kultur entstand jedoch keineswegs nur im Land Israel. Nach der Bibel liegen die Wurzeln meines Volkes am Berg Sinai (Horeb). Einiges aus dem Kulturreichtum, wie der Talmud, Midraschim sowie die großen Bände von Fragen und Antworten, die Exegese und deren Ergänzungen und die blühende theologische und philosophische Literatur, wurde in Babylonien, dem heutigen Irak, geschaffen. In Spanien und Italien entwickelte sich die goldene Ära von Dichtung, Literatur, Philosophie und Wissenschaft. Die Entstehung der Ladinosprache und deren Literatur fand im spanischosmanischen Reich statt, während sich die jiddische Sprache in Zentral- und Osteuropa formte: in Deutschland, Polen oder Russland. Seit letztem Jahrhundert blühen zudem Literatur, Dichtung, Musik und Theater in den Vereinigten Staaten auf.
Man könnte zwar behaupten, dass das alles nichts ist im Verhältnis zur Bibel, zu literarischen Werken wie den Psalmen, dem Buch Hiob oder dem Hohen Lied der Liebe. Das ändert aber nicht die manipulative Geschichtsschreibung von Ben-Gurion, der systematisch die Beiträge zur jüdischen Kultur aus der sogenannten »Diaspora«, also außerhalb von »Eretz Israel«, zu unterdrücken versuchte. Doch empfanden die meisten Juden ihre dortigen Lebensräume trotz der schrecklichen Ereignisse in der jüdischen Geschichte keineswegs als fern der Heimat und Glaubensgemeinschaft, sondern es war ihr Zuhause. Das gilt ohne Zweifel für die deutschen Juden im 19. und ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, zudem für viele Juden in Polen, Rumänien, Frankreich und England, ja sogar für einen Teil in der vorstalinistischen Sowjetunion.
Das vorliegende Werk will die Leser in die verschiedenen Epochen der gemeinsame