1. KAPITEL
Blakely Whittaker stand hinter ihrem neuen Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm ihres Laptops, der auf eine Eingabe wartete. Sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte. Vor ihr lag ein Ordner mit Personalunterlagen, den Becky ihr nach einem Rundgang durch das Gebäude ausgehändigt hatte. Eigentlich müsste Blakely sie durchgehen. Stattdessen sah sie immer wieder von der geschlossenen Tür ihres Büros zu den großen Fenstern, die den Blick auf die Stadt freigaben.
Der Kontrast zur schäbigen Arbeitsnische, in der sie die letzten Jahre gesessen hatte, hätte kaum größer sein können. Auch die Leute hier waren anders. Jeder, den sie getroffen hatte – von Finn DeLuca, dem charismatischen Typen, der ihr den Job angeboten hatte, bis hin zur Rezeptionistin und den Angestellten in der Personalabteilung –, erschien ihr enthusiastisch, freundlich und zufrieden. Ein gewaltiger Unterschied zu der deprimierten Truppe, mit der sie bislang gearbeitet hatte.
Das war eine nette Abwechslung, die sie gut gebrauchen konnte, ebenso wie das höhere Gehalt, das sie für ihre neue Stelle als Leiterin der Buchhaltung bei Stone Surveillance bekam. Doch etwas an der Sache störte sie.
Deshalb stand Blakely, statt sich auf den zweifellos bequemen Schreibtischstuhl zu setzen. In ihrem Kopf lieferten sich zwei Stimmen, die wie ihre Eltern klangen, ein Streitgespräch. Auf einer Schulter warnte ihre Mutter, misstrauisch, praktisch und zynisch, dass, wenn etwas zu gut erschien, um wahr zu sein, es das in der Regel auch war. Auf der anderen Seite stand ihr Vater, ewig optimistisch, opportunistisch und, nicht zu vergessen, kriminell veranlagt, der ihr sagte, wenn ihr jemand die Welt schenken wolle, sei es ihre Pflicht, sie anzunehmen und das Weite zu suchen, bevor sich herausstellte, dass alles nur ein Irrtum war.
Wegen dieser gegensätzlichen Einflüsse fühlte Blakely sich oft hin- und hergerissen und vor Unentschlossenheit wie gelähmt.
Nein, die Entscheidung war bereits gefallen. Sie war hier, in ihrem neuen Büro, und es gab kein Zurück mehr.
Blakely ließ sich schließlich auf den Stuhl sinken und seufzte, als sich ihre Vermutung bestätigte. Ihr letzter Stuhl hatte gequietscht, wenn sie aufstand, und die Unterseite des Sitzkissens wurde von Klebeband zusammengehalten. Sie schlug den Ordner mit Infomaterial zu Firmenrichtlinien, Urlaubsregeln und Versicherungsleistungen auf und fing an zu lesen.
Sie war zur Hälfte durch, als die Bürotür aufging. Erst dachte sie, es sei Becky oder jemand von der IT mit den Zugangsdaten für ihren PC. Doch herein kam jemand anderes.
Blakelys Magen verkrampfte sich, und sie errötete, als sie den Mann sah, der sich, größer als ein griechischer Gott, innen an den Türrahmen lehnte.
Ungeachtet ihrer persönlichen Meinung von ihm war ihre körperliche Reaktion auf Gray Lockwood leider immer dieselbe. Sie war sich seiner sofort auf überwältigende Weise bewusst.
Heute mischte sich Überraschung unter die vertraute, unerwünschte Reaktion. Denn der letzte Mensch, den sie in ihrem neuen Büro erwartet hätte, war der Mann, den sie vor acht Jahren ins Gefängnis gebracht hatte.
„Mistkerl.“
Gray Lockwood war schon Schlimmeres genannt worden und vermutlich zu Recht. Wahrscheinlich verdiente er es, wenn auch nicht aus den Gründen, die Blakely Whittaker annahm. Sie hielt ihn wegen der Vergangenheit für einen Mistkerl, was nicht stimmte. Dagegen hatte er sie heute tatsächlich in die Ecke manövriert. Ihr war nur noch nicht klar, wie nah sie mit dem Rücken zur Wand stand. Das würde sich gleich ändern.
„Begrüßen Sie so Ihren neuen Boss?“
Auf Blakelys Gesicht spiegelten sich Ungläubigkeit, Ärger und Abneigung, bis sie zu begreifen schien.
Gray hatte sich von ihrem schockierten Anblick Genugtuung versprochen für die Farce, die ihn damals ebenso unerwartet getroffen hatte und an der sie wesentlichen Anteil gehabt hatte. Doch die erhoffte Befriedigung b