1. KAPITEL
Mia Caldwell betrachtete mit skeptischem Blick das unscheinbare Gebäude der Londoner Innenstadt und überprüfte noch einmal die Adresse, die man ihr gegeben hatte. Sie hatte noch nie vom Club Giroud gehört. Und diese schlichte, schwarze und etwas schäbig wirkende Eingangstür hatte nichts mit den Clubs gemeinsam, die sie sonst besuchte. Aber die Adresse stimmte, und laut der App auf ihrem Handy befand sie sich am richtigen Ort.
Sie drückte die Klingel, griff ihre Handtasche fester, und zwang sich, nicht auf den Füßen zu wippen, während sie wartete.
Mia war gerade nach ihrem Auftritt in ihre winzige Garderobe gekommen, um sich umzuziehen, als sie gestern den Anruf erhalten hatte.
Seit einem Monat hatte Phil, ihr Agent, sich nicht bei ihr gemeldet. Daher überraschte sie die Einladung zu einem Vorsprechen umso mehr.
Merkwürdig war nur, dass das Vorsprechen schon früh am nächsten Tag stattfinden sollte, und zwar in einem Privatclub statt in einem Theater. Zudem hatte Phil vergessen, nach dem Namen der Theatergruppe zu fragen. Und nach dem Namen des Stücks. Und nach der Gage.
Es ist wirklich an der Zeit, dass ich mir einen neuen Agenten suche, dachte Mia.
Doch die letzte Aufführung des Stücks, in dem sie zurzeit spielte, war schon bald, und für die Zeit danach hatte Mia noch kein neues Engagement in Aussicht. Daher musste sie diese Einladung zum Vorsprechen in jedem Fall annehmen. Wie auch immer die Gage ausfallen mochte, es konnte kaum weniger sein, als sie im Augenblick verdiente.
Die Tür ging auf. Ein Riese von einem Mann mit schulterlangem, fettigem Haar in einem zu kurzen und zu engen schwarzen Anzug stand Mia gegenüber und sah sie ausdruckslos an.
„Ist das der Club Giroud?“, fragte Mia, nachdem der Riese keine Anstalten machte, zu sprechen.
„Und Sie sind?“
„Mia Caldwell.“
„Ausweis?“
Das war eine weitere Ungereimtheit. Nicht nur über den Ort und den Zeitpunkt des Vorsprechens hatte Mia sich gewundert, sondern auch über die Bitte, sich ausweisen zu können.
Der Riese sah sich ihren Ausweis genau an, brummte kurz, gab ihn zurück und trat einen Schritt zur Seite, um Mia mit einem knappenFolgen Sie mir einzulassen.
Sie zögerte kurz, bevor sie die Lobby betrat, die genauso schäbig und unscheinbar aussah, wie die Fassade des Hauses. Sie folgte dem Riesen zu einer Tür am anderen Ende des Raumes. Und als diese Tür geöffnet wurde …
Erstaunt weiteten sich ihre Augen. Dieser Raum war das genaue Gegenteil der schäbigen, unscheinbaren Lobby. Doch sie hatte keine Zeit, sich den reich geschmückten, gotischen Empfangssaal genauer anzusehen, denn der Riese brummte ihr zu, ihm zu folgen. Er führte sie durch eine weitere Tür in einen breiten Flur, ebenfalls im gotischen Stil. Sie stiegen eine elegante Treppe hinauf und kamen in einen weiteren Flur. Einige der Türen, an denen sie vorbeikamen, standen offen. Mia konnte einen Blick auf ein Casino erhaschen und etwas weiter den Flur hinunter auf eine Bar mit einem Konzertflügel. Schließlich blieb der Riese stehen, stieß die Tür vor sich auf, und bedeutete ihr, einzutreten.
Mia setzte gekonnt ein warmes Lächeln auf, was ihr mittlerweile so leichtfiel, wie zu atmen, und trat ein.
Dieser Raum war nur einen Bruchteil so groß wie die anderen, an denen sie vorbeigekommen waren, und enthielt nur zwei schwarze Ledersofas mit einem kleinen Tisch dazwischen. Auf einem der Sofas saß ein Mann, der sich gerade eine Papierakte durchlas. Als ihre Blicke sich trafen, schloss sich die Tür hinter Mia.
Mia spürte, wie ihr bei seinem prüfenden Blick ein Schauer den Rücken herunterlief, doch bevor sie dieses Gefühl näher einordnen konnte, stand der Mann auf und schritt auf sie zu.
„Miss Caldwell?“, fragte er und streckte ihr die Hand entgegen. „Damián Delgado. Es freut mich, Sie kennenzulernen.“
Mia gab ihm die Hand und erhielt den festesten Händedruck, den sie je erlebt hatte.
„Freut mich ebenfalls“, murmelte sie. Sie wurde nur selten nervös, aber dieser Mann hatte etwas an sich, dass sie unruhig machte.
Er sah umwerfend aus. Er war so groß wie der Riese, aber nur halb so breit. An seinem muskulösen Körper trug er ein strahlend weißes Hemd und eine dunkelblaue Hose, dazu eine silbern gestreifte Krawatte. Doch was Mia am meisten faszinierte, waren seine Augen, so dunkel wie geschmolzener Obsidian. Er hatte dichtes, schwarzes Haar, trug einen klassischen Kurzhaarschnitt, und seine markanten Gesichtszüge wurden von einer breiten, eleganten Nase, vollen Lippen und einem frisch getrimmten Kinnbart vervollständigt.
Und sein exotischer Duft war unwiderstehlich.
„Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?“
Mia bat um ei