1.
Jeden Morgen wache ich davon auf, dass meine Mutter das Radio einschaltet. Sie kann Stille nicht leiden. Aber heute bleibt alles ruhig, das ist seltsam. Ich schaue auf mein Handy. 71 Nachrichten. Von ihr keine einzige. Dafür eine von Pap.
»Schlaf gut, liebe Liesie. Ich vermisse euch.«
Es ist neun Uhr, und mein Magen knurrt.
Sie geht natürlich mit Wammes Gassi.
Ich stehe auf, angle mit den Zehen nach meinen Tigerpantoffeln und schlüpfe in den Morgenmantel, ebenfalls Tigerdruck. Er knistert beim Tragen. Synthetisch wie Hölle.
Das Zimmer meines Bruders ist leer. Ich gehe hinunter ins Erdgeschoss. Luuk sitzt im Pyjama auf dem Sofa, Kopfhörer auf den Ohren und in der Hand seinen Game Boy. Er riecht nach Kuchen.
Ich nehme ihm die Kopfhörer ab.
»Mann, Lies, blöde Kuh!«
»Du bist so erbärmlich. Ist Mam mit Wammes spazieren?«
»Woher soll ich das wissen. Selber erbärmlich!«
Die Gardinen sind noch zugezogen. Auf dem Tisch neben ihrem Laptop sehe ich ein Glas Rotwein und einen Aschenbecher mit einer halb gerauchten Zigarette. Mam raucht schon seit Jahren nicht mehr. Behauptet sie wenigstens. Vielleicht hatte sie Besuch von jemandem. Aber dann stünden hier zwei Gläser. Ich höre Wammes, er springt gegen die Spülküchentür und kratzt. Ich befreie ihn und werde mit begeisterten Freudensprüngen und Fiepsern belohnt.
»Ja! Wo ist denn die Mama, hm?«
Wammes und ich gehen querfeldein. Ich trage Mams Jogginganzug, er lag am Fußende ihres Betts. Ich habe an den Kissen und am Betttuch gerochen, ob sie dort geschlafen hat. Ich glaube schon. Ich weiß nicht, ob ich mich gerade besonders anstelle. Das sagt sie oft: Stell dich nicht so an! Und dass ich zu viel Fantasie hätte. Wenn ich nachher nach Hause komme, ist der Tisch gedeckt und sie hat Croissants geholt. Oder vielleicht hat sie gestern irgendwann gesagt, sie müsste ganz früh arbeiten gehen, und ich hab’s vergessen. Aber ihr Auto steht vor dem Haus, und ihr Fahrrad lehnt am Zaun. Sehr weit weg kann sie nicht sein. Ich drücke ihre Nummer. Sie hebt nicht ab.
Es ist kalt, wolkenlose