: William Boyd
: Wie Schnee in der Sonne
: Kampa Verlag
: 9783311702719
: 1
: CHF 10.70
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 592
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Es ist das Jahr 1914, in Deutsch- und Britisch-Ostafrika gehen Deutsche und Engländer in dieselben Bars. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus, hält Einzug in den Alltag, und aus Freunden werden Feinde. Der Krieg verändert das Leben aller: Der Amerikaner Temple Smith verliert von einem Tag auf den anderen seine Farm an einen Nachbarn und schwört Rache. Gabriel und Felix Cobb stammen aus einer alten britischen Offiziersfamilie. Während Gabriel pflichtbewusst in den Krieg zieht, will Felix in Oxford bleiben, doch die Wirren des Krieges holen auch ihn ein. Alle Beteiligten versuchen einen Sinn in die Kampfhandlungen hinein- zulesen - vergeblich. Ein tragikomischer Antikriegsroman vor der exotischen Kulisse Ostafrikas.

William Boyd, 1952 als Sohn schottischer Eltern in Ghana geboren, ist dort und in Nigeria aufgewachsen, bevor er in Großbritannien zur Schule ging und studierte. Dass er sich in keiner Kultur ganz zu Hause fühlt, sei für einen Schriftsteller eine gute Voraussetzung, sagt Boyd. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1981, heute gilt er als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Erzähler der zeitgenössischen Literatur. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und im südfranzösischen Bergerac, wo er auch Wein anbaut. Wo immer er sich gerade aufhält - er geht für sein Leben gern spazieren.

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6. Juni1914

Daressalam, Deutsch-Ostafrika

»Was würde wohl passieren«, fragte Colonel Theodore Roosevelt seinen Sohn Kermit, »wenn ich einem Elefanten in die Eier ballerte?«

»Vater«, sagte Kermit, ohne die Miene zu verziehen, »es würde bestimmt sehr wehtun.«

Der Colonel lachte schallend.

Temple Smith, der das Ausladen der Pferde und der Ausrüstung überwachte, lächelte über diesen Wortwechsel. Der Colonel und sein Sohn saßen auf der Bank über dem Schienenräumer ganz vorn an der Spitze des Zuges. Temple konnte sie nicht sehen, aber er hörte sie so deutlich sprechen, als stünden sie neben ihm. Es musste, so sagte er sich, irgendwie mit der Atmosphäre zusammenhängen, mit der Stille und Trockenheit der Luft.

Der Zug hatte mitten auf einer weiten afrikanischen Ebene angehalten. Ein hoher Himmel, ein paar müßige Wolken. Hohes gelbes Gras, da und dort unterbrochen von Dornbäumen und Felsbrocken, erstreckte sich bis hin zu einem purpurroten Berghorizont, Mr Loring, der Naturforscher, glaubte einen männlichen Springbock von einer Spezies gesehen zu haben, welche die Jagdgesellschaft noch nicht erlegt hatte, und so war ein Halt angeordnet worden.

Temple wies die somalischen Stallburschen an, vier Araberponys zu satteln. Die Roosevelts, der weiße Jäger Mr Tarlton und der Naturforscher, Mr Loring, würden losreiten und sich auf die Suche nach dem Tier machen. Die Seitenwand der langen Pferdebox wurde zum Boden heruntergelassen und das erste der kleinen Ponys herausgeführt. Es tänzelte vorsichtig umher, als prüfe es den Boden, und schnickte verärgert Kopf und Ohren nach den Schwärmen von summenden Fliegen, die es belästigten.

Temple nahm den Tropenhelm ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Die Hitze knallte auf den in der Sonne stehenden Zug herunter, und nicht die leiseste Brise rührte die weite Graslandschaft auf.

Er hörte, wiederum erstaunlich deutlich, wie Colonel Roosevelt knurrte, als er von dem Schienenräumer herunterkletterte, sich streckte und über die Gleisschwellen stapfte. Er schien ihn fast wie in einer Vision vor sich zu sehen. Die untersetzte und zerknautscht wirkende Gestalt trug eine bauschige Militärbluse, schlecht sitzende kakifarbene Reithosen, die von den Knien bis zu den Knöcheln zugeknöpft waren und am Gesäß herunterhingen, und schwere Stiefel. Er sah das bebrillte Onkelgesicht mit dem herabhängenden Walrossschnauzbart in die grelle Sonne blinzeln. Der Colonel schlug mit den Armen Räder und ließ die Fingerknöchel knacken. »Guter Tag zum Jagen«, sagte er und ging steifen Schrittes ein paar Meter die Bahnstrecke entlang.

Doch dann sah Temple auf wundersame Weise plötzlich zu Kermit hinüber. Er sah Kermits schönes schmales, von einem leichten Lächeln überzogenes Gesicht. Sah ihn nach seiner doppelläufigen Rigby-Schrotflinte greifen. Hörte das geölte Klicken, als die Zwillingshähne gespannt wurden. Sah, wie sich der Doppellauf langsam hob und auf den Rücken des Colonels zeigte.

»Nein!«, sagte Temple entsetzt zu sich selbst und ließ die Zügel des Ponys fallen, die er gerade in der Hand hielt. Er drehte sich jäh herum und blickte den Zug entlang nach vorn zur Lokomotive. Ja, da stand der Colonel auf dem Gleis, etwa fünfzehn Meter vor