Kapitel 2 – Vermissen und Versprechen
DARK
Dreiundvierzig Tage, acht Stunden, siebenunddreißig Minuten und zweiundfünfzig Sekunden. So lange ist es her, seit sie mir genommen wurde. So lange ist es her, seit ich zuletzt ruhig geschlafen habe. So lange ist es her, seit ich sie das letzte Mal in meinen Armen hielt. Und trotzdem ist da noch immer ihr Duft, der mich umgibt, als wäre sie ein Teil von mir. Aber das ist nicht richtig. Denn sie ist fort.
Ich werde dich auch immer finden. Ein Versprechen. Ich habe es nicht vergessen. Ich werde weiterkämpfen. Wenn auch nicht auf die Art, die sonst für mich üblich ist. In der letzten Zeit habe ich gelernt, mich in Geduld zu üben. Überraschung: Ich bin echt mies darin. Ich vermisse Flame mit jeder Faser meines halben Herzens. Unsere letzten gemeinsamen Stunden werden wie in einer Art Dauerschleife in meinem Kopf abgespult … Ihr absolut ehrliches Lächeln, bei dem sich ein niedliches Grübchen in der linken Wange zeigt. Ihre zierlichen Hände, die über meinen Rücken fahren. Bei allen Göttern, wie sie mir zum ersten Mal sagte, dass sie mich liebt, in dem Moment, als ich am wenigsten damit gerechnet habe, wo ich in Gedanken schon ihre Flucht geplant habe. Weil alles andere in den Hintergrund gerückt ist, alles nebensächlich wurde, wegen ihr. Wegen all der Empfindungen, die sie in mir auslöst. Sie ist der Grund, warum ich mich in den letzten Monaten so lebendig fühlte wie nie zuvor. Trotzdem habe ich die drei Worte nie selbst zu ihr gesagt. Gedacht, ja. Ausgesprochen, nie. Und nun bereue ich es.
Als ich die Augen aufgeschlagen und nach der anderen Seite des Bettes getastet habe, die längst kalt und leer gewesen ist, da wusste ich, dass ich zu spät kommen würde. Bereits zuvor bin ich mit dem Gefühl der Panik vertraut gemacht worden, wenn sie die Aufgaben des Turniers bewältigen musste. Sie hat mehr als eine schwere Verletzung davongetragen. Doch in dieser Nacht, da hat die Angst mich beinahe erstickt. Ich musste nicht einmal in die betroffenen Gesichter der anderen blicken, um zu wissen, was vorgefallen ist. Dass sie längst fort war. Und was mich am meisten schockiert hat, war, dass es sich so endgültig angefühlt hat. Absolut hoffnungslos. Denn sie ist in der Hölle. Ein Mal ist sie lebend entkommen. Doch wem gelingt das schon ein zweites Mal? Die Ungewissheit frisst mich auf, hinterlässt ein hohles Gefühl in meiner Magengrube.
Ich schlage ein weiteres staubiges Buch zu und räume es zurück in das Regal, nur um gleich das nächste von meinem Stapel zu nehmen. Ich gönne mir keine Pause.
Es muss bereits spät am Abend sein, denn die Fackeln entzünden sich. True hat heute in regelmäßigen Abständen nach mir gesehen. Sie scheinen ihn als meinen Babysitter abgestellt zu haben. Überraschenderweise ist er nicht so neugierig und geschwätzig wie sonst, weshalb ich ihnen diese Albernheit durchgehen lasse. Gerade, als ich meine Sachen zusammenpacken will, fliegt die Tür erneut auf.
„Hab mir schon gedacht, dass ich dich hier finde.“ Ich verdrehe die Augen. Auch Apollo kommt immer wieder vorbei und versucht, mich in ein Gespräch zu verwickeln, seitdem er gemerkt hat, dass ich nicht für eine tiefsinnigere Unterhaltung zur Verfügung stehe. Er gibt sich locker und fröhlich, doch hinter der Maske erkenne ich Trauer und Bedauern. Sie fehlt ihm genauso sehr wie mir. Unbeirrt räume ich weitere Bücher weg. Dabei entgehen mir seine Blicke nicht.
„Habt ihr Theia gefunden?“, durchbreche ich die Stille.
„Ja“, erwidert er schlicht, während ich mir den Staub von meiner Kleidung klopfe. Hier sollte dringend mal jemand sauber machen.
„Daimonen und Geschöpfe der Nacht? Ernsthaft?“, liest Apollo den Titel des Buches vor, welches ich zuletzt zurückgestellt habe. Ich zucke mit den Achseln. Mir ist absolut klar, dass er langsam denkt, ich wäre schwachsinnig geworden. Kümmert mich nicht.
Als ich in Richtung Ausgang laufe, heftet er sich sofort wieder an meine Fersen. „Yasar hat für morgen eine Besprechung angesetzt. Du solltest dabei sein.“ Ich nicke, was ihn zu verwundern scheint. „Du wirst die Bibliothek verlassen?“, hakt er nach, als wäre er sich dessen nicht so sicher.
Ich seufze genervt. „Ich verbringe nicht meine komplette Zeit in der Bibliothek.“ Nur die Tage, aber bei Nacht … Doch das braucht ihn nicht weiter zu interessieren.
Apollo schnaubt resigniert. Mittlerweile laufen wir den Korridor hinunter, ich habe ihn noch immer nicht abschütteln können. Was für ein Jammer. „Du könntest dich später beim Abendessen blicken lassen“,