Stellen Sie sich vor, wie viele Prosaseiten an einem einzigen Tag auf der ganzen Welt umgeblättert, wie viele Theaterstücke aufgeführt, wie viele Filme gezeigt werden; stellen Sie sich den unversiegbaren Strom an Fernsehkomödien und -dramen vor; vierundzwanzig Stunden gedruckte und gesendete Nachrichten; Gutenachtgeschichten für Kinder; Kneipenprahlereien, den Gartenzaunklatsch im Internet, das unstillbare Verlangen der Menschheit nach Storys. Die Story ist nicht nur unsere fruchtbarste Kunstform, sie konkurriert mit allen Tätigkeiten – Arbeit, Spiel, Essen, körperliche Bewegung – in unseren wachen Stunden. Wir erzählen Storys und nehmen Storys auf in demselben Ausmaß, wie wir schlafen – und selbst dann träumen wir. Warum? Warum verbringen wir soviel von unserem Leben in Storys? Weil, wie der Kritiker Kenneth Burke uns sagt, Storys Rüstzeug für das Leben sind.
Tag für Tag suchen wir nach einer Antwort auf die zeitlose Frage, die Aristoteles in derNikomachischen Ethik stellt: Wie soll ein Mensch sein Leben führen? Doch die Antwort entzieht sich uns, versteckt sich hinter den verwischten Konturen vorbeijagender Stunden, während wir uns abmühen, unsere Möglichkeiten unseren Träumen anzupassen, Idee mit Leidenschaft zu vereinen, Wunsch in Wirklichkeit zu verwandeln. Wir werden mitgerissen auf eine gefahrvolle Reise durch die Zeit. Wenn wir Abstand nehmen, um Muster und Bedeutung zu erfassen, verschiebt sich das Leben wie ein Vexierbild: erst ernst, dann komisch; statisch, rasend; bedeutungsvoll, bedeutungslos. Gravierende Weltereignisse sind jenseits unserer Kontrolle, während persönliche Ereignisse, trotz aller Bemühungen, sie zu steuern, meist uns kontrollieren.
Seit jeher hat die Menschheit die Antwort auf die Frage des Aristoteles bei den vier Weisheiten – Philosophie, Wissenschaft, Religion, Kunst – gesucht und aus jeder dieser Weisheiten Einsichten gewonnen, um daraus einen Sinn zu konstruieren, mit dem man leben kann.
Aber wer liest heute schon Hegel oder Kant, wenn e