: Falk Richter
: Johannes Birgfeld
: Disconnected Theater Tanz Politik
: Alexander Verlag Berlin
: 9783895814631
: Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik
: 1
: CHF 17.50
:
: Theater, Ballett
: German
: 180
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Die einzige Frage, die bleibt, lautet: Wie konnten wir so leben? Warum haben wir nichts dagegen unternommen.' Falk Richter Inmitten der Krise, angegriffen von Vertretern der Neuen Rechten, bezieht Falk Richter in Disconnected Stellung: Scharf analysiert er die Verwerfungen, die der neoliberale Kapitalismus und der Aufstieg der sogenannten Neuen Rechten dem Einzelnen in den westlichen Gesellschaften zumuten. Anschaulich und vehement beschreibt und verteidigt er sein Verständnis vom Theater als Ort der Analyse von Sprache und Ideologie, als Ort der Vielstimmigkeit, als geschützten Raum, in dem ungestört gedacht, diskutiert, ausprobiert werden kann. Falk Richter, der 'Regisseur des Jahres' 2018 (Theater heute) und einer der wichtigsten, international einflussreichsten Theatermacher deutscher Sprache der Gegenwart, erläutert in Disconnected erstmals ausführlich und anhand zahlreicher Auszüge aus seinen Stücken sein Modell des Theaters, das Tanz, Text und Musik zu einem stets hochpolitischen Gesamtkunstwerk mit einer unverwechselbaren Theatersprache verbindet. Disconnected ist eine Analyse des Lebens in Zeiten der permanenten Überforderung und Erschöpfung, des Zerfalls der Gewissheiten, des Bruchs und der unsicheren Zukunft, sowie der Möglichkeiten des Theaters, die Zurichtungen des Einzelnen bewusst zu machen und Wege gegen die Bedrohungen der offenen, demokratischen Gesellschaft zu suchen. Ausgangspunkt des vorliegenden Buches sind drei öffentliche Vorträge, die Falk Richter im Rahmen der 5. Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik gehalten hat.

Falk Richter, geb. 1969 in Hamburg, ist als Regisseur, Autor und Übersetzer einer der international einflussreichsten Theatermacher der Gegenwart. Seine Stücke, darunter Gott ist ein DJ, Electronic City, Unter Eis und TRUST, liegen in mehr als dreißig Sprachen vor. 2015 inszenierte er sein kontrovers aufgenommenes Stück Fear, das sich mit dem Erstarken eines neuen Rechtsnationalismus in Europa auseinandersetzt. Rechtspopulisten versuchten vergeblich, gerichtlich die Absetzung des Stückes durchzusetzen.

II. CHOREOGRAFISCHES THEATER ZWISCHEN SCHAUSPIEL UND TANZ


II.1. Der erweiterte Autorenbegriff


Seit Beginn meiner Arbeit als Dramatiker beschäftigt mich die Frage, wie ich den Textbegriff, den Autorenbegriff erweitern kann, welche Möglichkeiten es gibt, die Definition davon bzw. das Verständnis dafür, was ein Text, was ein Stück, was Autor*innen für das Theater sein können, weiter zu fassen und immer wieder mit jeder Arbeit neu zu definieren.

In den Jahren 2003 und 2004 konzipierte ich als Antwort auf einen Stückauftrag für die Berliner Schaubühne unter dem TitelDas System ein dramatisches Forschungslabor. Ich wollte nicht »das eine Stück« zu einem Thema liefern. Ich wollte stattdessen forschen, unterschiedliche Künstler*innen und Wissenschaftler*innen mit Schauspieler*innen zusammenbringen und während dieser Zeit Abende konzipieren, Texte schreiben oder Videoarbeiten und Texte anderer Autor*innen präsentieren, Fachleuten ein Forum bieten – und natürlich auch Theatertexte schreiben und aufführen: Statt des einen Stückes wollte ich unterschiedliche Abende, an denen auch ich jedes Mal anders in Erscheinung trete: als Autor, wie beiElectronic City, das Tom Kühnel inszenierte, als Autor/Regisseur beiUnter Eis, als eine Art Ausstellungsleiter beiAmok/Weniger Notfälle30, wo ich Kurzdramen des englischen Autors Martin Crimp übersetzte und inszenierte und Arbeiten bildender Künstler*innen gegenüberstellte, oder als Co-Autor und Regisseur, wie beiHotel Palestine31–einem Textprojekt, das ich gemeinsam mit Marcel Luxinger und den Schauspieler*innen während der Proben entwickelte und das durch die kurze Probenzeit von drei Wochen sehr dicht am aktuellen politischen Geschehen lag. Darüber hinaus gab es Abende, an denen wir Filme zeigten, Autor*innen, die mich beeinflusst hatten, zu Lesungen einluden, Videoarbeiten, Hörstücke, Vorträge präsentierten – es ging also darum, den Entstehungsprozess eines politischen Stücks offenzulegen und das Material ebenso wie das Endprodukt (also die Theaterinszenierung) zugänglich zu machen.

Nach dem 11. September änderte sich der Blick, den die Menschen im Westen auf ihr eigenes System hatten. Es herrschte ein diffuses Gefühl, so gut wie keine relevanten Informationen zu bekommen. Die unverblümte Kriegsmobilisierung à la »wir verteidigen in Afghanistan unsere Art zu leben« verwirrte. Nachdem Bush an die Macht gekommen war, änderte sich die amerikanische Außen- und Innenpoliti