1.Der Aufbruch
AM FÜNFZEHNTEN MÄRZ DES JAHRES 1700, kurz vor Sonnenaufgang, machte Bach sich auf den Weg. Johann Christoph begleitete ihn bis zum Stadttor und, da es immer noch nicht hell werden wollte, auch darüber hinaus. Als sie auf der Höhe des Berges anhielten, sahen sie, wie die Sonne ihre ersten Strahlen über den Saum des Waldes schickte.
Kommst du allein zurecht?
Bach antwortete nicht. Räuber und Zigeuner waren in diesem Wald zu Hause und warteten nur darauf, ihm den Ranzen und die Geige wegzunehmen. Sowie Johann Christoph ihn allein gelassen hätte, würden sie sich auf ihn stürzen.
Du zitterst ja. Ist dir kalt?
Ihm war nicht kalt, er zitterte nur. Er würde sofort losrennen, wenn sein Bruder gegangen wäre.
Also dann, Kleiner, Gott befohlen.
Bach erwiderte die Umarmung seines Bruders und rannte los.
Warte!
Johann Christoph zog ein gerolltes Papierbündel aus seinem Wams hervor. Fast hätte ich es vergessen, sagte er. Da, nimm. Jetzt gehört es dir.
Bach wich einen Schritt zurück und starrte auf das Bündel.
Soll ich es dir in den Ranzen stecken?
Bach wischte sich, während Johann Christoph den Ranzen aufschnürte und die Rolle darin verstaute, verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
Und immer fleißig sein, hörst du?
Er nickte.
Du sagst ja gar nichts. – Und dann, bevor er sich endgültig auf den Weg zurück nach Ohrdruf machte, sagte Johann Christoph beiläufig, mehr gemurmelt als gesprochen: Hüte dich vor Hochmut, Kleiner. Du wirst uns einmal alle übertreffen.
Bach blickte dem Bruder verwundert nach. Johann Christoph war sein Lehrer gewesen, fünf Jahre lang, ein strenger Lehrer, der kaum je ein Lob über die Lippen gebracht hatte. Und nun dies? Und was war es, das der Bruder da gesagt hatte? Eine Prophezeiung, ein Wunsch, ein Auftrag, ein Befehl?
Gerade als Johann Christoph zwischen den Bäumen verschwunden war, stieg der weißglühende Feuerball am Horizont empor. In Bachs Innerem erklang ein strahlend reiner C-Dur-Akkord, der sich alsbald nach Harfenart in einzelne Töne auflöste. Bach pfiff, während er sich wieder in Bewegung setzte, das Arpeggio leise vor sich hin. Seine Bangigkeit war mit einem Mal verflogen. Er dachte an Lüneburg, an die Lateinschule, an den berühmten Georg Böhm, der dort die Orgel spielte, er dachte an das Notenmanuskript in seinem Ranzen und an die Worte des Bruders. Und während ihm erneut die Tränen in die Augen schossen, beschleunigte er seine Schritte, um rechtzeit