|11|Einleitung
Der Relax-Sessel
Malcom nahm noch schnell einen Schluck aus der Plastikflasche, die an seinem Sessel in einer speziellen Halterung elegant eingefügt war. Der Saft war kalt und leicht süßlich und erfrischte herrlich. Er wusste zwar nicht, woher der Saft kam, aber er vertraute der Lieferfirma, die täglich über ein Pumpsystem das Reservoir an Getränken auffüllte. Die Kosten dafür wurden wöchentlich von seinem Konto abgebucht. Er brauchte sich darum nicht zu kümmern, denn er hatte einen Dauerauftrag bequem über sein virtuelles Steuersystem eingerichtet. Auch die Nahrungsmittel ließ er sich von dem Lebensmittelhändler über das ausgeklügelte Pumpsystem liefern. Die Speisen waren ebenfalls flüssig oder zumindest breiig, sodass er sie elegant über Röhrchen zu sich nehmen konnte, ohne aufstehen zu müssen. Das war ziemlich bequem und ersparte ihm das Kauen. Viel wichtiger aber war es ihm, dass er bequem in seinem Relax-Sessel sitzen bleiben und sich mit seiner digitalen Welt auseinandersetzen konnte.
Schnell scannte er einige Nachrichten von Online-Diensten, indem er vor allem die Überschriften las. Die Nachrichten wählte er irgendwie nach Zufall aus, glaubte er zumindest. Eigentlich las er nur das, was seine Aufmerksamkeit erhaschte. Politik war meistens weniger interessant, außer wenn es um Kriege, Hinrichtungen, Tumulte, Terrorangriffe oder religiöse Probleme ging. Auch Informationen aus seiner Nachbarschaft fanden gelegentlich den Weg in sein Bewusstsein. Ganz besonders interessierten ihn aber die netten Geschichten von Sternchen, Stars und anderen Berühmtheiten, die er auf den Online-Seiten der Boulevardblätter lesen konnte. Es war doch immer wieder köstlich zu erfahren, in wen sich diese Leute alles verliebten, von wem sie sich trennten und was sie sonst noch|12|anstellten. Gelegentlich machte er noch einen Abstecher auf seine Lieblingspornoseite, die es ihm ermöglichte, mittels neuester virtueller Realitätstechnik lebensechte Empfindungen zu haben.
Die meiste Zeit aber lebte er in Kaukasia, einer virtuellen Welt, in der er alles sein konnte: Held, Opfer oder einfach nur Zuschauer. Es war unglaublich verlockend, in einer Welt zu leben, ohne sich im wahrsten Sinne des Wortes dreckig zu machen, nicht zu erkranken, wunderbare Landschaften zu erleben und interessanten Menschen zu begegnen. Viel wichtiger war für ihn aber, dass er in dieser Welt ein bedeutender und bemerkenswerter Mensch war. Er konnte seine Kleider wählen und der jeweiligen Lebenssituation anpassen, seine Frisur ändern und sich besondere Fähigkeiten durch wenige Kommandos an sein Programm gönnen. Dazu musste er nicht viel machen. Er musste sich nicht bewegen und auch nicht sprechen, er dachte nur daran. Seine virtuelle Welt war mit seinem Gehirn verbunden und er konnte mit seinen Gedanken sein Leben in der virtuellen Welt recht einfach steuern. Es war alles so bequem und wunderbar, sodass er nicht merkte, wenn er seine Notdurft verrichtete, für deren Verarbeitung Relax – der Wunderstuhl, in dem er saß – sorgte. Relax beaufsichtigte auch gelegentliche Schwankungen des Blutdrucks, Zuckerhaushalts und andere Stoffwechselschwankungen und griff automatisch in Form von Medikationen ein, die er über das Pumpsystem mit der Nahrung verabreichte.
So saß Malcom tagaus, tagein in seinem Relax-Stuhl un