4
Seit dem Tod des Marquis schlief ich ziemlich gut, doch ich spürte, dass dieses Glück nicht von langer Dauer sein konnte und ich wieder der Schlaflosigkeit verfallen würde. Da rief mich an einem Wochenende wunderbarerweise Tony an, ein alter Bekannter, der Pförtner in der Jebilat-Klinik war. In Wahrheit hieß er Ahmad, doch er nannte sich Tony, nach Tony Montana, dem Mafiaboss, den Al Pacino inScarface spielt.
»Komm schnell her! Der Richtschütze, du weißt schon, der Dreckskerl, der meine kleine Schwester umgebracht hat, ist blutüberströmt in der Notaufnahme gelandet; Unfall oder Schlägerei, keine Ahnung, aber sein Zustand ist kritisch. Das ist doch mal eine gute Nachricht! Komm schnell, jetzt können wir endlich unseren Traum verwirklichen … Wir geben ihm den Rest …«
In Tanger gab es tatsächlich einen etwa vierzigjährigen Lehrer, dem man seine verruchte Seele vom Gesicht ablesen konnte. Er wurde »der Richtschütze«, »der Alte«, »der Einäugige« oder »der Dichter« genannt, aber alles mit einer Prise Verachtung. Mager, dürr, ein länglich durchfurchtes Gesicht, ein beunruhigender Blick, ein schmallippiger Mund mit ein paar Zahnstummeln. Er trug eine dicke Gleitsichtbrille und gab vor, Gedichte zu lieben, vor allem, wenn sie von naiven jungen Mädchen verfasst wurden, die zu allem bereit waren, um veröffentlicht zu werden. Er hatte eine Zeitschrift gegründet, die er schlicht und einfachPoesie nannte. Selber schrieb er bedeutungslose Texte, die so schwer verständlich waren, dass sie als hermetische Dichtung durchgehen konnten.
Er lauerte den jungen Leuten – Mädchen und Jungen – vor der Schule auf und verführte sie, indem er ihnen anbot, beim Redigieren zu helfen, sie ermutigte, Gedichte zu schreiben; die besten werde er in seiner Zeitschrift veröffentlichen. Er merkte ziemlich schnell, wer ihm misstraute, und ging diesen aus dem Weg. Die anderen fielen ihm wie reife Früchte in den Schoß. In seiner winzigen Einzimmerwohnung, wo er die neuen Opfer hinbestellte, war alles inszeniert. Musik, gedämpftes Licht, Minztee und ab und zu ein paar Joints, die Hand in Hand im Liegen geraucht wurden.
Malika, Tonys kleine Schwester, war eines sein