: Susanne Schröter
: Im Namen des Islam Wie radikalislamische Gruppierungen unsere Gesellschaft bedrohen
: Pantheon
: 9783641281953
: 1
: CHF 8.80
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Grundlagenbuch zum politischen Islam von Deutschlands führender Ethnologin
Das Buch ist zuerst 2019 unter dem Titel 'Politischer Islam: Stresstest für Deutschland' beim Gütersloher Verlagshaus erschienen.

Viele Deutsche glauben, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Sie verbinden die zweitgrößte Weltreligion vor allem mit dem Terror im Namen Gottes, der Unterdrückung von Frauen und Minderheiten sowie einer Ablehnung westlicher Werte. Die Gründe für diese Assoziationen resultieren aus dem Erstarken radikalislamischer Milieus, die sich zunehmend auch in Deutschland ausbreiten. Die Islamforscherin Susanne Schröter klärt über die Ursprünge, Erscheinungsformen und Akteure dieser Gruppierungen auf - einer radikalen Minderheit der Muslime in Deutschland, deren Ziel die Umgestaltung und Unterwerfung von Gesellschaft, Politik, Kultur und Recht unter islamistische Normen ist, und die so unsere pluralistische Demokratie bedrohen. Ein ebenso fundierter wie hochaktueller Überblick für alle, die sich über Islamismus in Deutschland informieren wollen.

Susanne Schröter, geboren 1957 in Nienburg/Weser, studierte Ethnologie, Soziologie, Politikwissenschaften und Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie lehrte und forschte u.a. an der University of Chicago und der Yale University, wurde 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für Südostasienkunde an der Universität Passau und 2008 auf die Professur für 'Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen' und an die Goethe-Universität Frankfurt berufen. Dort war sie 11 Jahre lang Principal Investigator im Exzellenzcluster 'Herausbildung normativer Ordnungen' und leitet seit 2014 das 'Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam'. Sie ist neben anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten Vorstandsmitglied des 'Deutschen Orient-Instituts', Senatsmitglied der 'Deutschen Nationalstiftung' und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der 'Bundeszentrale für politische Bildung'.

II DER GLOBALE SIEGESZUG
DES POLITISCHEN ISLAM


Muslimbrüder und andere Organisationen, die Pläne schmiedeten, um muslimisch geprägte Länder in islamische Staaten zu verwandeln, scheiterten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrheitlich. Wie in Ägypten standen ihnen nämlich auch andernorts säkulare Autokraten gegenüber, die die islamistische Opposition an einer Machtübernahme hinderten. Dies geschah oft um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, die nicht nur Islamisten, sondern auch Demokraten gegen die Regime aufbrachten. Die Unterdrückung führte außerdem dazu, dass die Unterdrückten moralisch aufgewertet wurden, selbst wenn sie Vertreter einer totalitären Ideologie waren. Wenn autoritäre Regime scheiterten, profitierten Islamisten daher vom Status der moralisch »sauberen« politischen Akteure und konnten ihr Ziel der umfassenden Islamisierung ganzer Gesellschaften ohne größeren Widerstand umsetzen. Wer jetzt allerdings glaubt, dass Demokratie vor Islamismus schützt, der irrt, denn der Siegeszug des politischen Islam findet auch in Ländern statt, die demokratisch regiert werden.

1. Die islamische Revolution im Iran


Der erste moderne Staat, der durch den Sturz eines autoritären Regimes in eine islamistische Diktatur verwandelt wurde, war der Iran. Im Jahr 1979 hatte eine breite Bewegung aus Sozialisten, Kommunisten, Demokraten und orthodoxen Geistlichen den in der Bevölkerung verhassten Schah Reza Pahlavi zum Rücktritt gezwungen, und die schiitische Elite unter Führung Ajatollah Khomeinis übernahm handstreichartig die Macht. Innerhalb weniger Monate verwandelten die Kleriker und ihre Handlanger das Land in eine islamische Republik, in einen politischen Albtraum, der eindrücklich illustrierte, was es bedeutet, wenn Islamisten ihre Visionen in die Tat umsetzen. Wenn wir uns fragen, wie es so weit kommen konnte, müssen wir zurück in die Geschichte gehen und bei der Wende zum 20. Jahrhundert beginnen. Der Iran war damals eine korrupte Monarchie, deren höfische Elite das Volk ausplünderte und ihren verschwenderischen Lebensstil durch den Ausverkauf nationaler Ressourcen an ausländische Regierungen finanzierte. Viele Menschen protestierten gegen die Gewährung ständig neuer Konzessionen an britische und russische Geschäftsleute, und es kam zu Aufständen. Eine Koalition aus Handwerkern und weitsichtigen Mitgliedern der Oberschicht forderte schließlich die Zulassung eines parlamentarischen Systems sowie eine moderne Rechtsordnung. Die Kämpfe um diese Reform sind als »konstitutionelle Revolution« (1905–1911) in die Geschichte eingegangen. Sie führte zur Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie und nach einigen politischen Wirren zur Übertragung der Regierungsgeschäfte an den ehemaligen Kosakenoffizier Reza Khan Pahlavi (1878–1944). Reza Khan war ein Mann aus dem Volk, der im Militär Karriere gemacht hatte und den Iran in eine Moderne führen wollte, die in vielerlei Hinsicht an europäische Modelle angelehnt sein sollte. Nach seiner Krönung zum Schah entmachtete er den Klerus, reformierte das Rechtssystem und beschränkte die Zuständigkeit der Scharia-Gerichte. Eine allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt, neue Schulen eröffnet, die Universität von Teheran gegründet und ein Stipendienprogramm für Auslandsstudien aufgelegt. Der Schah modernisierte das Gesundheitswesen, sorgte für die Einrichtung landesweiter Gesundheitszentren und begann mit dem Bau eines überregionalen Eisenbahnnetzes. Das spektakulärste Projekt seines Modernisierungsprogramms war jedoch die Förderung der Emanzipation der Frauen. Während seiner Herrschaft entstanden Mädchenschulen, der Arbeitsmarkt und die Universitäten wurden für Frauen geöffnet, und sukzessive wurde das auf islamischem Recht basierende patriarchalische Familienrecht verändert. Eine besonders heftige Kontroverse entzündete sich an den Bekleidungsvorschriften für Frauen. Intellektuelle hatten die Verhüllung weiblicher Körper seit Jahren als stoffgewordene Symbole der Unterdrückung und der Rückständigkeit des Landes kritisiert. Die ersehnte Moderne sollte ihrer Ansicht nach eine unverschleierte sein. Um diese Ideen zu unterstreichen, zeigten sich Feministinnen bereits in den 1920er-Jahren ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit. Das war nicht ungefährlich, da es immer wieder vorkam, dass religiöse Hardliner die Frauen körperlich attackierten.