Bereits vor Jahren, nein, vor Jahrzehnten hatten mein Mann und ich aufgehört, uns etwas zu Weihnachten zu schenken. Wir waren in der glücklichen Lage, uns alles kaufen zu können, sollten wir denn einen Wunsch hegen, doch derlei passierte schon lange nicht mehr. Im Grunde hätten wir auch die Schenkerei zu den Geburtstagen einstellen können, doch aus unerfindlichen Gründen behielten wir es bei. Joachim bekam von mir meist etwas Nützliches, das er gewohnt unangemessen hektisch auspacken durfte. Etwas, das er möglicherweise sogar gebrauchen konnte, eine digitale Körperwaage oder einen elektrisch betriebenen Rasenmäher, während er mir im Gegenzug im Laufe des Geburtstags eine der Karten überreichte, die er zu Dutzenden in seinem Schreibtisch hortete. Darauf war ein Blumenstrauß vor einer Wiese zu sehen und handschriftähnlichAlles Gute zum Geburtstag aufgedruckt, sodass er auf der Innenseite nur noch mitJoachim zu unterschreiben und einen Hundert-Euro-Schein beizulegen brauchte.
„Kauf dir etwas Schönes, Ursula“, sagte er, während er mir den Umschlag in die Hand drückte, und variierte diese Empfehlung auch nur sehr selten. Ich bedankte mich mit ähnlich gleichförmigen Worten, begab mich ins Schlafzimmer in der oberen Etage, zog den Geldschein heraus und legte ihn zu den anderen, die sich gleich hinter der Bibel in der Schublade meines Nachttischs stapelten. Bestimmt hatte ich inzwischen mehr als zweitausend Euro angehäuft, die ersten Geldgeschenke musste ich nach der Jahrtausendwende noch in die neue Währung umtauschen. Ohne dass mein Mann es bemerkte, wollte ich das Geld für den Moment aufsparen, in dem ich mehr als das Haushaltsgeld benötigte, das mir Joachim am Monatsanfang zugestand. Dieser Moment war nun gekommen.
Joachim war am achten Mai fünfundvierzig geboren worden, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation. Er war überhaupt nur gezeugt worden, da sein Vater Karl, der an die Westfront abkommandiert worden war, das Glück hatte, trotz der Invasion in der Normandie einen letzten kurzen Heimaturlaub antreten zu dürfen. Das Elternhaus in Sachsenhausen war bei den schweren