: Sprang Stefan
: Henry Becker und der Sommer der Erinnerung Roman
: Größenwahn Verlag
: 9783957713117
: 1
: CHF 9.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als die Hausverwaltung seinen geliebten Baum im Hof absägen lässt, ist das ein Schock für Henry Becker. Ausgerechnet jetzt, wo der Endvierziger (Single, keine Kinder) mit seinem Ein-Mann-Versicherungsbüro vor der Pleite steht. Und dann sind da noch die Frauen: Die junge Vicki, die sich in Henry heftig verliebt hat - und Greta, einst seine große Liebe. Sie würde der einsame Henry so gerne zurückerobern. Am Ende eines turbulenten Sommers muss er sich entscheiden.

Stefan Sprang, geb. 1967 in Essen, lebt dort im Südviertel und in Frankfurt/M. Sein Roman-Debüt 'Fred Kemper und die Magie des Jazz' erschien 2011, sein Roman 'Ein Lied in allen Dingen. Joseph Schmidt' 2019 (2. Auflage Verlag 2020). 1999 'Kurt-Magnus-Preis' der ARD. 2016 Einladung zur 'Bayerischen Akademie des Schreibens' und 2020 zum Literaturpreis 'Irseer Pegasus'.

Prolog


Der Sommer beginnt, als Henry Becker feststellt …
… weg, einfach weg ist sie, verschollen, verschwunden, komplett von dannen, Knall auf Fall.
Er steht da am Küchenfenster, ein Ochs vorm Berge, und kann es nicht begreifen. Geht er einer optischen Täuschung auf den Leim? Hat er ein medizinisches Problem, das für umgekehrte Halluzinationen sorgt, bei denen man nicht etwas sieht, was nicht da ist, sondern etwas, das da sein muss, nicht mehr erkennt? Da ist Henry heimgekommen, um sich mit einem gut gekühlten Pils auf den Balkon zu setzen, ein bisschen vor sich hin picheln. Mal wieder etwas aus dem Kopf bekommen, denn glücklich ist, wer vergisst. Jeden Tag gibt es etwas, das Henry schnell vergessen möchte. Heute den Anruf seines Bankberaters, mein lieber Schwan, was für einen Oberleutnantston der Bramsch von der »Vereinigten Bank« plötzlich am Leib gehabt hatte. Henry hatte förmlich sehen können, wie die Adern am Bramschen Hals anschwollen und das Blut ins butterige Pennälergesicht pumpten. Auf keinen Fall dürfe er den nächsten Termin versäumen, das sei kein Rat, sondern ein klarer Bescheid. Am Ende hatte Herr Bramsch geschrien getreu dem Motto, dass, wer schreit, Recht hat.
Aber das, was diesen ätzenden Geldgeier zur Weißglut gebracht hatte, das ist jetzt ausnahmsweise nicht Henrys Not. Zumindest nicht hier, nicht jetzt. Er stellt die Bierflasche auf die Spüle, macht die Tür auf, die von der Küche zum Balkon führt, und tritt hinaus. Die Hände gestemmt aufs Blech der aufgeheizten Balkonbrüstung schaut er und schaut vergebens.
»Was ist das denn für eine verdammte Scheiße?«
Sein Fluch rollt und poltert durch den Innenhof. Die Antwort: Brodelnder Husten und eine weiße Dampfwolke vom Balkon schräg rechts. Weil Herr Szép schon mit Ende fünfzig eine üble Atemwegserkrankung hat, von COPD hat er neulich gesprochen, dampft er jetzt »elektro«. Weil er nicht groß ist, kann Henry hinter einer Phalanx aus rosa Geranien im Wesentlichen nur den Kopf sehen. Eine Nase ragt hervor, ein blauroter Vorsprung unter getönter Pilotenbrille.
Henry kann nicht viel anfangen mit dem Mann, mit dem er gefühlt ewig auf einer Etage wohnt. Aber um eines beneidet er ihn: den Trainingsanzug. Dunkelblau, leuchtend weiß die drei Streifen, das Dreiblatt-Logo auf der Brust und auch der Reißverschluss. Dazu die Steghose, alles mindestens 80er, vielleicht älter. Festgewachsen an Herrn Szép. Als Junge hatte Henry genauso einen Anzug gehabt.
»Wenn sie ihren Briefkasten mal leeren würden, wüssten sie’s.«
Bei seiner Gemütslage kann Henry eines nicht gebrauchen: Oberlehrer können ihn gerade mal kreuzweise.
»Hab’ den Schlüssel verloren.«
»Hatte ich auch schon. Nehmen sie eine kleine Nagelfeile. Geht.«
Würde ihn in den nächsten Minuten der Schlag treffen, eines will Henry dann doch nicht: dumm sterben.