: Gabriele Tergit
: Nicole Henneberg
: So war's eben Roman
: Schöffling& Co.
: 9783731762003
: 1
: CHF 20.40
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 624
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Noch einmal einen großen Roman schreiben - das war, nach den 'Effingers', Gabriele Tergits größter Wunsch.Dieser Roman 'So war's eben', der jetzt erstmals aus dem Nachlass der Autorin erscheint, erzählt das Durchschnittsleben von reichen und bescheidenen Familien in der Zeit von 1898 bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Während die Geschicke der Familien ihren Lauf nehmen, tobt der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik mit ihren Wirrnissen und Kämpfen zwischen Rechten und Linken findet ihren Widerhall in den Zeitungsredaktionen, dem Milieu von Gabriele Tergits Zeit als Journalistin. Nach einer Familienfeier am 30. Januar 1933, die fast alle Figuren des Romans versammelt, beginnt die Emigration nach Prag und Paris, später nach London und in die USA; erzählt wird von den immer größeren Problemen der Emigranten und der zurückgebliebenen Juden, den Selbstmorden, Deportationen und der Vernichtung einer Mischehe.Gabriele Tergit wollte das Leben ihrer Generation, mit allen Hoffnungen, Enttäuschungen und Lebensbrüchen schildern, 'unsere ganze blödsinnige Welt von 1932' wollte sie einfangen, die Generationen von Vertriebenen, bis hin zu den jüdischen Flüchtlingen in New York, die Grete, Tergits Alter Ego, Anfang der fünfziger Jahre besucht.'

Gabriele Tergit (1894-1982), Journalistin und Schriftstellerin, schrieb drei Romane, zahlreiche Feuilletons und Reportagen sowie posthum veröffentlichte Erinnerungen. 1933 emigrierte sie nach Palästina, 1938 zog sie nach London. Ihr literarisches Werk wurde erst spa?t in Deutschland wiederentdeckt. Heute gilt sie, vor allem aufgrund ihres Erfolgsromans Effingers, als bedeutende Autorin der Zwischen- und Nachkriegszeit.

ERSTER TEIL
KAISERREICH

1. Kapitel

Damentee in den neunziger Jahren

Stern, kugelig, im hellen Gehrock mit breiten Seidenrevers, Krawatte, die den Rockausschnitt füllte, Rose im Knopfloch, Zylinder nach hinten, stürmte ins Wohnzimmer, ließ die Tür offen, rief: »Eine runde halbe Million verdient!«

Franziska schloß rasch die Tür, das fehlte noch, das mit der halben Million vor den Dienstmädchen.

»Dein lieber Bruder, seine Hochwürden Rechtsanwalt Kollmann, fand jede Anlage unsicher. ›Industrie?‹ ›Schon schlecht‹. ›Elektrizität?‹ ›Haben sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Wir kaufen für unsere Klienten nur preußische Konsols.‹«

»Du kannst mir nicht die Solidität meiner Familie vorwerfen.«

»Festverzinsliche Werte! Der geförderte Rückschritt und der verhinderte Fortschritt. Ein ganz ordinärer übelbeleumdeter Winkelbankier hat mir die Aktien besorgt.«

»Bitte setze deinen Hut im Zimmer ab!«

»Nicht fein genug? Mit ’ner halben Million werde ich allen fein genug sein. Wir bauen ein Palais in der Tiergartenstraße.«

Franziska, die geborene Kollmann, kannte sich in Geschäften aus: »Ein Palais in der Tiergartenstraße kostet mindestens 300000 Mark, da bleibt uns nicht genug zum Leben.« Ein Phantast war ihr Mann. Ihr Vater und Bruder hatten recht.

»Diese schäbige Wohnung wird auf alle Fälle gekündigt!«

Franziska saß in der neuen Wohnung – Füße auf einer gestickten Fußbank, Fußbank auf einem Tigerfell, Tigerfell auf einem Perser – auf einem Sofa mit Umbau, auf dem Vasen, ein bronzener Schmied, der Dornauszieher, ein radschlagender ausgestopfter Pfau und die Türme des Kölner Doms in Alabaster standen. Die Bibel mit Illustrationen von Doré, ›Unser Bismarck‹ und ›Unser Rhein‹ lagen auf der Samtdecke.

Im Esszimmer war für Franziskas ersten Damentee gedeckt, gekreuzte Silberbestecke auf Servietten mit Fransen, Teegläser in kupfernen Haltern mit Löffeln darin, um sie vor dem Platzen zu bewahren, Platten kunstvoll belegter Brötchen, Sahnebaisertorte.

Franziska klingelte, wies das Hausmädchen an, die braunen Samtgardinen vorzuziehen und die Petroleumlampen anzuzünden. Dieser Damentee war wichtig, sollte ihr und ihrem Mann das Markussche Haus öffnen.

Tatsächlich kam Adelina Markus als Erste, ein Modebild im weißbekurbelten grünen Kleid mit dreifacher Pelerine, jede mit Nerz eingefaßt, dazu ein Brüsseler Spitzenjabot, eine blonde zierliche Schönheit mit strahlend blauen Augen und Gemmenprofil. Der Hofphotograph stellte ihr vergrößertes und angemaltes Photo seit Jahren in seinem Schaukasten in der Leipzigerstraße aus – das Photo einer Wiener Komtesse, dachten die Betrachter –, darunter hing das aquarellierte Photo ihrer drei Kinder, der Junge in der Uniform der neuen kaiserlichen Marine und die zwei engelhaften kleinen Mädchen. Adelina Markus hatte die Jüngere Friedericke genannt, obwohl ihr Ideal Frau von Stein und nicht Friederike von Sesenheim war, die sich womöglich mit Goethe eingelassen hatte, und die Ältere Leonore, obwohl ihr Wagner näherstand als Beethoven. Aber man konnte ein Mädchen nicht Brunhilde oder Sieglinde nennen.

Dann trat Marie Kollmann, Franziskas Schwägerin, ein, mau