ERSTER TEIL
KAISERREICH
1. Kapitel
Damentee in den neunziger Jahren
Stern, kugelig, im hellen Gehrock mit breiten Seidenrevers, Krawatte, die den Rockausschnitt füllte, Rose im Knopfloch, Zylinder nach hinten, stürmte ins Wohnzimmer, ließ die Tür offen, rief: »Eine runde halbe Million verdient!«
Franziska schloß rasch die Tür, das fehlte noch, das mit der halben Million vor den Dienstmädchen.
»Dein lieber Bruder, seine Hochwürden Rechtsanwalt Kollmann, fand jede Anlage unsicher. ›Industrie?‹ ›Schon schlecht‹. ›Elektrizität?‹ ›Haben sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Wir kaufen für unsere Klienten nur preußische Konsols.‹«
»Du kannst mir nicht die Solidität meiner Familie vorwerfen.«
»Festverzinsliche Werte! Der geförderte Rückschritt und der verhinderte Fortschritt. Ein ganz ordinärer übelbeleumdeter Winkelbankier hat mir die Aktien besorgt.«
»Bitte setze deinen Hut im Zimmer ab!«
»Nicht fein genug? Mit ’ner halben Million werde ich allen fein genug sein. Wir bauen ein Palais in der Tiergartenstraße.«
Franziska, die geborene Kollmann, kannte sich in Geschäften aus: »Ein Palais in der Tiergartenstraße kostet mindestens 300000 Mark, da bleibt uns nicht genug zum Leben.« Ein Phantast war ihr Mann. Ihr Vater und Bruder hatten recht.
»Diese schäbige Wohnung wird auf alle Fälle gekündigt!«
Franziska saß in der neuen Wohnung – Füße auf einer gestickten Fußbank, Fußbank auf einem Tigerfell, Tigerfell auf einem Perser – auf einem Sofa mit Umbau, auf dem Vasen, ein bronzener Schmied, der Dornauszieher, ein radschlagender ausgestopfter Pfau und die Türme des Kölner Doms in Alabaster standen. Die Bibel mit Illustrationen von Doré, ›Unser Bismarck‹ und ›Unser Rhein‹ lagen auf der Samtdecke.
Im Esszimmer war für Franziskas ersten Damentee gedeckt, gekreuzte Silberbestecke auf Servietten mit Fransen, Teegläser in kupfernen Haltern mit Löffeln darin, um sie vor dem Platzen zu bewahren, Platten kunstvoll belegter Brötchen, Sahnebaisertorte.
Franziska klingelte, wies das Hausmädchen an, die braunen Samtgardinen vorzuziehen und die Petroleumlampen anzuzünden. Dieser Damentee war wichtig, sollte ihr und ihrem Mann das Markussche Haus öffnen.
Tatsächlich kam Adelina Markus als Erste, ein Modebild im weißbekurbelten grünen Kleid mit dreifacher Pelerine, jede mit Nerz eingefaßt, dazu ein Brüsseler Spitzenjabot, eine blonde zierliche Schönheit mit strahlend blauen Augen und Gemmenprofil. Der Hofphotograph stellte ihr vergrößertes und angemaltes Photo seit Jahren in seinem Schaukasten in der Leipzigerstraße aus – das Photo einer Wiener Komtesse, dachten die Betrachter –, darunter hing das aquarellierte Photo ihrer drei Kinder, der Junge in der Uniform der neuen kaiserlichen Marine und die zwei engelhaften kleinen Mädchen. Adelina Markus hatte die Jüngere Friedericke genannt, obwohl ihr Ideal Frau von Stein und nicht Friederike von Sesenheim war, die sich womöglich mit Goethe eingelassen hatte, und die Ältere Leonore, obwohl ihr Wagner näherstand als Beethoven. Aber man konnte ein Mädchen nicht Brunhilde oder Sieglinde nennen.
Dann trat Marie Kollmann, Franziskas Schwägerin, ein, mau