: Wolfgang Benz
: Deutsche Herrschaft Nationalsozialistische Besatzung in Europa und die Folgen
: Verlag Herder GmbH
: 9783451825729
: 1
: CHF 19.60
:
: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses Buch füllt eine Lücke. Die Zivilbevölkerung in den nationalsozialistisch besetzten europäischen Nationen spielt in der Erinnerung an die Opfer bislang kaum eine Rolle. Im Mittelpunkt dieser nach Ländern und Regionen gegliederten Darstellung stehen daher nicht militärische Ereignisse, sondern das Schicksal der Zivilbevölkerung, der Alltag unter der Okkupation, der Widerstand der Besetzten sowie der Terror der Besatzungsmacht. Das Buch leistet einen notwendigen Beitrag zur aktuellen und andauernden Debatte über ein Polendenkmal und das Dokumentationszentrum für alle Opfer der NS-Besatzungspolitik in Berlin.

Wolfgang Benz, Prof. Dr., geb. 1941, ist einer der renommiertesten deutschen Zeithistoriker. Er lehrte von 1990 bis 2011 an der Technischen Universität Berlin und leitete das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU. In seinen Forschungen und Veröffentlichungen beschäftigt sich Wolfgang Benz mit Vorurteilen und ihren Ausprägungen in Antisemitismus, Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und veröffentlichte zahlreiche Standardwerke zur Geschichte des Nationalsozialismus. 1992 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2012 wurde er mit dem Preis des Vereins 'Gegen Vergessen - Für Demokratie' ausgezeichnet.

Wolfgang Benz


EINLEITUNG:
TERROR ALS HERRSCHAFTSPRINZIP
NATIONALSOZIALISTISCHER OKKUPATION


Präventives Vorgehen gegen potenziellen Widerstand gehörte zum Herrschaftsprinzip des Nationalsozialismus. Die Inhaftierung und Terrorisierung von politischen Gegnern, Andersdenkenden, nicht Anpassungswilligen, Regimekritikern begann unmittelbar nach dem Machterhalt der NSDAP in Deutschland im Frühjahr 1933. Die Geheime Staatspolizei wurde als Organ terroristischer Herrschaftspraxis institutionalisiert, die Konzentrationslager waren Vollstreckungsorte einer keinem Gesetz und keiner Institution der Justiz unterliegenden Verfolgung unter der Bezeichnung „Schutzhaft“.

Heinrich Himmler vereinigte als „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ alle exekutive Gewalt in seiner Hand: die Polizei als Organ des staatlichen Gewaltmonopols und die SS als nur dem Führerwillen unterworfenes Herrschaftsinstrument der NS-Ideologie. Die Verschmelzung von SS und Polizei verwischte die Grenzen zwischen normativ kontrolliertem staatlichen Handeln und im Vollzug nationalsozialistischer Ideologie ausgeübter Willkür. Deutschland war längst kein Rechtsstaat mehr, als Himmler 1937 die Institution der „Höheren SS- und Polizeiführer“ einrichtete. Diese ihm direkt unterstellten, quasi als Statthalter dienenden, ihm treu ergebenen, sorgfältig ausgesuchten SS-Generäle waren im Deutschen Reich als Territorialherren der Exekutive vielfacher Konkurrenz durch andere Instanzen ausgesetzt. In den besetzten Gebieten unter Zivil- oder Militärverwaltung gaben die Höheren SS- und Polizeiführer jedoch als Instanzen institutionalen Terrors den Ton an und agierten ungeachtet anderer ziviler und militärischer Kompetenzen – nicht nur im Generalgouvernement, wo die SS weit mehr Macht ausübte als das zivile Okkupationsregime, wo der Höhere SS- und Polizeiführer Krüger de facto größeren Einfluss besaß und größere Durchsetzungskraft hatte als der Generalgouverneur Hans Frank. Die Höheren SS- und Polizeiführer hatten bei der Realisierung deutscher Ziele – Rassenpolitik und Völkermord an den Juden und Roma, Germanisierung und ökonomische Ausbeutung – wie beim Versuch, Widerstand gegen diese Ziele zu brechen, die entscheidende Position.

Das Prinzip des Terrors wurde mit der Ausdehnung des Herrschaftsgebietes auf alle Territorien unter deutschem Einfluss übertragen.[1] In Österreich wurden unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 Exponenten politischer Parteien, von den Konservativen bis zu den Kommunisten, von denen Widerstand oder Nichteinverständnis mit dem NS-System zu erwarten war, in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Das wiederholte sich mit der Annexion des tschechischen Territoriums, das im Frühjahr 1939 als „Protektorat Böhmen und Mähren“ Kolonie des Deutschen Reiches wurde. Es wiederholte sich abermals nach der Okkupation Polens durch die Annexion seiner Westgebiete und die Kolonialisierung des „Generalgouvernements“.[2]

Das System der Herrschaft bestand aus einer von deutschen Befehlen abhängigen tschechischen Protektoratsregierung unter einem deutschen Reichsprotektor. Das war der ehemalige Außenminister Konstantin von Neurath, flankiert vom Staatssekretär Karl Hermann Frank, der zugleich Höherer SS- und Polizeiführer für das Protektorat war. Das Gespann aus dem Diplomaten von repräsentativer Distinktion und dem brutalen, tschechenhassenden SS-Offizier als Exekutive im Range eines Staatssekretärs agierte mit präventiver Gewalt gegen potenziellen Widerstand. Im März 1939 richtete sich die „Aktion Gitter“ gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Antifaschisten; von den über 6