Hochwasser
C.M. Dyrnberg
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Die Leichen lagen auf dem Feld, als warteten sie darauf, geerntet zu werden. Sieben Tage hatte das Hochwasser in den Fluren rund um das Kloster gestanden. Am Pfingstsonntag war der Fluss gegen Abend über seine Ufer getreten und hatte das Umland lautlos überschwemmt, die Wege überspült und sich in die Stuben der Bauernhöfe ergossen. In der achten Nacht kroch die dunkle, dreckige Brühe schließlich in das Flussbett zurück, hinterließ Schlamm und zerstörte Äcker – und gab drei Tote frei. Drei Leichen, die auf dem klostereigenen Feld südlich der Anhöhe unserer Abtei wie verstreute Getreidegarben liegengeblieben waren.
Wir entdeckten sie in aller Frühe nach dem Morgengebet, während des Rundganges, der uns einen Überblick über die drohenden Ernteverluste verschaffen sollte: kleine, unförmige Erhebungen, die aus der Ferne an Steine oder morsch gewordene Brückenteile erinnerten. Erst als wir näher an sie herantraten, erkannten wir, dass es sich um menschliche Körper handelte, verkrustet mit stinkendem Morast, in gekrümmter Haltung, wahrscheinlich die Leiber von Frauen, sicher aber war ich mir in diesem Punkt nicht.
Unsere Worte versiegten. Stumm standen wir zwischen den grausigen Funden wie Verlorene in einem Labyrinth. Der Prior fand als Erster seine Stimme wieder. Erst vor eineinhalb Jahren hatte ihn der Bischof in unser entlegenes Kloster gesandt, um den Posten des Stellvertreters zu besetzen. Er war, wie man so sagte, in der Welt herumgekommen und hatte an angesehenen Universitäten studiert, an diesem Morgen aber wich auch aus seinem Gesicht alles Weltmännische.
»Laufe zurück ins Kloster«, sagte er zu mir gewandt. »Benachrichtige den Abt! Sofort!«
Ich selbst, der ich hier das Wort zu führen und mir die längst vergangenen Geschehnisse in Erinnerung zu rufen habe, war ein Bauernjunge aus der Gegend und zur damaligen Zeit noch Novize. Ich tat wie befohlen, lief den schmalen Weg hinauf zur Abtei und weiter in die Gemächer des Abtes, wo er wie so oft mit dem Braumeister zusammensaß.
Im Verlauf der Amtszeit des Abtes war unser ärmlicher Konvent zu einer blühenden Klosterbrauerei gediehen. Was in früheren Zeiten bloße Leidenschaft einer Handvoll Mönche gewesen war, diente nun als Haupteinkommensquelle, ja hatte der Abtei zu Reichtum verholfen. Von einer seiner wenigen Reisen hatte der Abt die Idee mitgebracht, dem Biersud Hopfen beizumengen, ein Getreide, das bis dahin lediglich als Heilkraut zur Beruhigung der Nerven sowie gegen Magenbeschwerden Verwendung gefunden hatte. Schon die ersten Versuche überzeugten geschmacklich, und bald waren die in der Bierbrauerei sonst üblichen Gewürze wie Lavendel, Lorbeer oder Gagelkraut zur Gänze aus dem klostereigenen Rezept getilgt. Mittlerweile war das schmackhafte Bier im gesamten Bistum bekannt; fässerweise brachten wir das herbe Gesöff in die Städte, wo es uns die reichen Herren regelrecht aus den Händen rissen, und die wenigen eigenen Felder unserer Abtei reichten längst nicht mehr aus, die Produktion zu stemmen. Das Kloster fraß Hopfen wie ein vielköpfiges Ungeheuer, und so verwunderte es nicht, dass die Grundherren im Umkreis allesamt längst auf Hopfenanbau umgestiegen waren. Im Einklang mit der klösterlichen Gemeinschaft kamen auch sie zu Vermöge