1.
Einführung: Kleine
Drahtseilakrobaten,
vergessene Kinder oder
die unauffällige Auffälligkeit
In diesem Kapitel erfahren Sie
- warum das Thema „psychische Erkrankung“ weitgehend übersehen und tabuisiert wird
- was dieser Umstand für die betroffenen Kinder und ihre Familien bedeutet
- warum Kitas hier eine große Ressource und Unterstützung darstellen
Als ich gemeinsam mit meiner Kooperationspartnerin Julia Krankenhagen von nifbe2 einen Fachtag zum Thema „Kinder psychisch erkrankter Eltern“ plante, haben wir uns für den TitelKleine Drahtseilakrobaten entschieden, dem folgendes Bild zugrunde liegt:
Kinder psychisch kranker Eltern bewegen sich in ihrem jungen Leben bildlich gesprochen wie kleine Akrobaten auf dem Drahtseil. Sie brauchen ein Sicherheitsnetz. Doch gibt es genügend verlässliche Personen, die einen möglichen Sturz sichern können? Ist es nur der erkrankte Elternteil oder steht bereits eine Kita-Fachkraft oder eine Kindertagespflegeperson zur Seite? Sind weitere Bindungspersonen für das Kind zur Stelle, wie zum Beispiel ein gesunder Elternteil oder andere Familienangehörige? Gibt es weitere Helferinnen, die das Netz spannen, wie etwa eine Patenfamilie? Je weniger Personen um das Sicherheitsnetz stehen, desto gefährlicher ist die Situation für das betroffene Kind.
Was können pädagogische Fachkräfte also tun, um die Situation für Kinder psychisch kranker Eltern zu verbessern, was kann die Kita aus sich heraus leisten? Ich möchte Sie nun in die Welt dieser kleinen Drahtseilakrobaten einladen:
1.1 Psychische Erkrankungen – das letzte große Tabu
Eine psychische Erkrankung bei den Eltern oder bei einem Elternteil stellt einen oft noch tabuisierten Hochrisikofaktor für die Entwicklung der Kinder dar, denn sie kann die Ausübung der Elternrolle grundlegend beeinträchtigen. Und Kinder psychisch kranker Eltern (KPKE) wachsen mit einem erhöhten Risiko auf, ebenfalls im Verlauf ihres Lebens eine psychische Erkrankung zu entwickeln (vgl. Plass& Wiegand-Grefe 2012).
Deshalb ist ein differenzierter pädagogischer Blick der Fachkräfte in der Kita im Sinne einer frühen Förderung der Entwicklung sinnvoll und hilfreich. Kinder profitieren davon, über die Krankheit ihrer Eltern informiert zu werden und darüber mit weiteren Bezugspersonen in der Kita reden zu dürfen. Insbesondere, weil diese Kinder oft den subjektiven Eindruck haben, dass es verboten ist, über die Situation in ihrer Familie zu sprechen. Eltern geben oft an, dass sie besonders ihre jüngeren Kinder schützen möchten, indem sie ihre Erkrankung nicht thematisieren (vgl. ebd.). Kinder nehmen jedoch spätestens im Vorschulalter wahr, dass die Situation in der eigenen Familie anders ist als zum Beispiel bei ihren Freunden.
Die „psychische Erkrankung darf als das letzte große Tabu in unserer ‚Spaßgesellschaft’ angesehen werden“ (Pretis& Dimova 2016, S. 27). Kinder psychisch kranker Eltern haben kaum eine Lobby in der Gesellschaft und sind häufig sozialer Stigmatisierung und Ausschluss ausgesetzt sind. Denn psychische Symptome werden noch immer stark mit Schuld in Verbindung gebracht. Vonseiten der Eltern können die Kinder mit einem Kommunikationsverbot bel