Kapitel 5
Ich ahne, dass es heute passieren wird. Manchmal ist es so, als hätte ich hellseherische Fähigkeiten und könnte vorhersagen, was als nächstes geschieht. Heute ist dieses Gefühl besonders stark. So stark, dass mir nichts einfallen will, was ich schreiben könnte. Meist genügt es, wenn ich mir die Menschen im Café oder auf der Straße anschaue und mir überlege, wie sie die wurden, die sie sind, und was sie gerade tun, denken und fühlen. Dann ist es, als würde dadurch eine Tür zu einer Kammer in meinem Kopf geöffnet, und ich schreibe mit der Besessenheit einer Süchtigen.
Nicht heute.
Meine Gedanken lassen sich heute nicht einfangen und zu Papier bringen. Ich kritzele nur die Seiten voll, ohne Sinn und Verstand – nur, um beschäftigt auszusehen und in Ruhe gelassen zu werden, während ich meinen Kaffee genieße und auf Alain warte. Ob er mich wieder im Hinterhof ficken will? Nein, ich male mir aus, selbst zu agieren und ihn zu verführen. Ich stelle mir vor, dass er sich hier neben mich setzt, sodass ich unter dem Tisch seinen Schwanz herausholen und ihn mit der Hand massieren kann, bis er seinen Samen verspritzt. Wenn er sich über meine Finger ergießt, würde ich seinen Saft ablecken und dabei zuschauen, wie ihn der Anblick meiner Verwandlung zum Schleckermäulchen erregt.
Oh, das sollte ich notieren. Aus einer solchen Szene lässt sich eine hübsche Geschichte machen. Ich darf es nicht vergessen. Sofort schlage ich eine neue Seite in meinem Notizbuch auf und will beginnen, doch ich komme nicht dazu.
Alain!
Ich überlege, eine Karriere als Hellseherin und Wahrsagerin zu beginnen, was sicherlich sehr lukrativ wäre. An meinen Fähigkeiten kann es keinen Zweifel geben, denn in diesem Augenblick betritt Alain das Café. Fast vergesse ich, mich damenhaft zu verhalten und springe vor Freude über sein Erscheinen beinahe auf, um ihn zu begrüßen. Da bin ich noch sicher, dass er meinetwegen gekommen ist. Sicher ist er oft hier gewesen und hat nach mir gesucht, und wir haben uns lediglich jedes Mal verpasst. Ich beherrsche mich jedoch und beschränke meinen Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erhaschen, auf ein dezentes Winken.
Alain sieht mich nicht. Er schaut sich im gut besuchten Café um, als würde er jemanden suchen. Hier bin ich, Alain, hier! Er schenkt mir keinerlei Beachtung und steuert mit einem fröhlichen Lächeln einen anderen Tisch an. Dort sitzt eine hübsche Dame, die um einiges älter ist als er, jedoch alles daran setzt, mindestens zehn Jahre jünger zu wirken. Während ich sprach- und fassungslos zuschaue, begrüßt er die Dame zunächst mit einem galanten Handkuss. Dann erhebt sie sich, sodass sie sich gegenseitig wie Liebende umarmen können, bevor sie sich gemeinsam an den Tisch setzen und sich offensichtlich sehr viel zu erzählen haben. Sie unterhalten sich angeregt und scheinen sich sehr nahezustehen. Man braucht hier keine hellseherischen Fähigkeiten, um eindeutig zu erkennen, dass sie weit mehr sind als nur Freunde.
Ob er sie auch in den Hinterhof führt, um sie dort zu ficken? Ich weiß nicht recht, ob ich vor Wut platzen oder vor Herzschmerz schluchzen möchte. Ich bin auf einen Gigolo hereingefallen, der mich gefickt hat, weil er wohl dachte, bei mir Geld holen zu können … Dann hat er schnell festgestellt, dass er bei mir nichts gewinnen kann, und hat sich eine andere gesucht. Die Dame an seinem Tisch jedenfalls trägt ihren Reichtum offen zur Schau, und gewiss hat sie zuhause einen Gatten, der ihr zwar Geld, aber keinen Sex gibt … Aber dafür gibt es ja Alain! Sie hat eine gute Wahl getroffen, das kann ich aus erster Hand bestätigen. Leider!
Was für eine dumme Pute ich doch die ganze Zeit gewesen bin! Ich bin diesem Mann regelrecht hinterhergerannt und habe mich albernen Kleinmädchenträumen hingegeben, habe mich nach ihm gesehnt und meinen Hans in Gedanken ständig mit ihm betrogen. All die Hoffnungen, die ich mir gemacht habe, zerplatzen in diesen Mi