Kapitel 2
Gut, nun bin ich also Vera, die Spezialistin für Handarbeit. Bis ich mich vor ein paar Tagen auf eine Anzeige hin hier in diesem Bordell beworben habe, wusste ich nicht einmal, was ein Gloryhole ist. Und heute ist es bereits mein neuer Arbeitsplatz.
Eigentlich ist es recht nett hier. Ich habe mein eigenes kleines Zimmerchen mit Kühlschrank und Kaffeemaschine, ich habe einen Tisch, einen Stuhl und einen Sessel zum Entspannen und natürlich ein Waschbecken mit allem möglichen Reinigungs- und Desinfektionszubehör. Das ist mein eigenes kleines Reich, zu dem nur ich Zutritt habe.
Der Kunde, so hat es mir Michelle erklärt, kann mich nicht sehen. Er muss in einer kleinen Kabine nebenan stehen, mein Honorar durch einen Schlitz in eine Box an meiner Wand einwerfen, und dann seinen Schwanz durch eine Öffnung in der Wand zu mir hereinschieben, sodass ich ihn mit der Hand bearbeiten kann. Für spezielle Kundenwünsche liegen verschiedene Arten von Handschuhen ebenso bereit wie Bürsten und ein paar andere Gegenstände, deren Sinn und Zweck mir noch nicht ganz klar ist. Aber das werde ich schon lernen.
Okay, ich bin bereit, es kann losgehen.
Zum Glück habe ich mir ein Buch mitgebracht, um die Zeit zwischen den Kunden mit Lesen zu überbrücken. Das ist auch bitter nötig, denn ich verbringe meine Zeit nur mit Warten. Was in anderen Zimmern vorgeht, ist nicht zu überhören. Da ertönen falsche weibliche Lustschreie (»Oh jaaa, du bist so guuut!«, »Oh, deiner ist ja sooo groß!«), männliches Gegrunze mitsamt Kraftmeierei (»Ich fick dir den Verstand aus dem Schädel!«), Peitschengeknalle und die unverwechselbare Sinfonie der quietschenden und knarrenden Betten. Ich bin sehr phantasievoll und male mir aus, was da wohl so alles vor sich geht. Dann höre ich eine Stimme, die klingt wie die von Herrn Becker aus der Nachbarschaft. Er hat seinen Spitznamen »Blockwart« nicht ohne Grund, und so schalte ich dann doch lieber meine Phantasie aus und klappe mein Buch auf. Die Geräusche versuche ich zu ignorieren.
Offenbar herrscht nur bei mir die große Stille. Handarbeit gehört wohl nicht zu den großen Kundenwünschen. Vielleicht hat Michelle genau das gemeint, als sie mich gefragt hat, ob ich nicht lieber mit Männern schlafen will … nun gut, sie hat es »Ficken« genannt, aber ich darf mich ja wohl ein bisschen gewählter ausdrücken, wenn ich Ihnen von meinen Erlebnissen berichte.
Vor lauter Langeweile fange ich sogar schon an, die Kreuzworträtsel in den herumliegenden Zeitschriften zu lösen. Meine Kassenbox ist so leer wie die Kabine nebenan. Geld verdienen kann ich aber nur, wenn Männer von diesem Gloryhole und meinen Diensten Gebrauch machen. Was tun?
Nichtsdestotrotz ist es erstaunlich: Es ist erst kurz nach elf Uhr vormittags, und es herrscht reger Verkehr im Haus (die Doppeldeutigkeit ist beabsichtigt!), die Männer kommen (noch eine beabsichtigte Zweideutigkeit!) und gehen, um den nächsten Kunden Platz zu machen. Nur mein Zimmerchen und die Kabine scheinen als verkehrsberuhigte Zone zu gelten.
Ich nehme mein Smartphone, stecke mir die Ohrstöpsel in die Ohren und höre meine Playlist, die aus Schlagern, Vivaldi und Hardrock besteht, und wende mich wieder der Lektüre meines Buches zu. Gleichzeitig überlege ich, wie ich die viele freie Zeit hier in Zukunft sinnvoll nutzen kann. Ich könnte wieder anfangen zu stricken. Oder ich könnte mir eine Fremdsprache beibringen. Oder vielleicht …
Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr und höre trotz der Ohrstöpsel ein »Hallo?«.
Oha, es ist soweit! Mein erster Kunde ist da, und alles, was ich von ihm sehen kann, sind sein Schwanz und seine Eier. Also gut, nun muss ich mich zusammenreißen. Aller Anfang ist schwer, sage ich mir und rede mir selbst gut zu, dass ich es schon schaffen werde. Herrgott nochmal, es kann ja nicht so schwer sein. Immerhin habe ich das als Teenie beim Petting ja auch schon gemacht, und mein Mann Eduard hat stets gesagt, dass ich in dieser Hinsicht absolut begnadete Hän