Juli 2020, Peñas Blancas, Grenzübergang Costa Rica-Nicaragua
Enrique ist zunehmend verzweifelt. Immer wieder läuft er zwischen den metallicgrauen Containerhäuschen der Grenzposten hin und her, seine schwarzen Stoffhosen staubig, das kurzärmelige Hemd verschwitzt, ein Plastikschirm als Virenschutz vor sein Gesicht geschnallt.
In der Hand hält er das in San José abgestempelte Papier mit dem vierundzwanzig Stunden alten Negativ-Resultat des Covid-Tests.No me dejan entrar. Sie lassen mich nicht rein. Und dann, mit beinahe brechender Stimme herausgeschrien, erneut jener Satz, den er mir ein paar Tage zuvor auf Facebook geschrieben hatte:Es hat nichts mit der Pandemie zu tun.
Eine aus San José mitgereiste Freundin nimmt die Szene mit Enriques Smartphone auf, und so geht das Video für kurze Zeit viral: Zuerst ist das Video öffentlich, dann nur noch für den Freundeskreis sichtbar, schließlich wird es aus Angst gelöscht: Im zur Familiendiktatur Daniel Ortegas gewordenen Nicaragua wissen nicht nur die Grenzposten, wer abzustrafen und zu observieren ist.
Enrique, der bei den vorangegangenen Familienbesuchen in der alten Heimat ja schon immer gefilmt hatte: Das schießende Militär vom Frühjahr 2018, als die Arbeiter und Studenten gegen ein Regime demonstrierten, das den revolutionärenSandinismo längst nur noch im Namen führte; Schüsse in den Straßen Managuas, vor Einkaufszentren, selbst vor den offenen Türen der Kirchen; Menschen, die auf der hauptstädtischen Parademeile das überlebensgroße Hugo-Chávez-Porträt attackiert hatten und dabei auch jene absurden Metallbäume herausrissen, deren artifizielle Kronen nach dem Willen des Ehepaars Ortega die Kosmologie der Mayas mit ihrer kruden Herrschaftsideologie von »Harmonie, Christentum und Sozialismus« verbinden sollten. Zuvor hatte er auc