Kapitel 1
Nein, das war alles ganz anders. Unterbrechen Sie mich doch nicht dauernd! Ich lege ja die Karten auf den Tisch.
Das mit den Fotos und dem Video war wirklich eine miese Nummer.
Aber so sind die Menschen nun mal. Seit man auf Kosten anderer sein Ego mit ein paar Clicks und Likes im Internet aufpolieren kann, sind die Hemmschwellen gesunken.
Davon blieb auch meine Chefin nicht verschont. Die Fotos, die Victoria Malleo in einer äußerst kompromittierenden Situation zeigten, machten schneller die Runde, als man sie verbieten oder löschen konnte.
Dabei war eigentlich alles völlig harmlos gewesen. Mehr oder weniger. Ich meine, seit der spießigen Prüderie der fünfziger und sechziger Jahre hat sich doch eine ganze Menge geändert. Dass Frauen nicht nur Kochrezepte tauschen und Tupper-Partys geben, dürfte sich mittlerweile bis in die letzten Ecken herumgesprochen haben.
Kurz und gut: Victoria Malleo war mit Freundinnen bei einer Dessous-Party gewesen. Sie wissen schon: Eine Party, bei der sich Frauen die neuesten Reizwäsche-Kollektionen anschauen, sie anprobieren, ziemlich viel Sekt trinken und dabei ein bisschen Spaß haben. Also, bleiben wir bei den Fakten: Es war zugleich auch eine Verkaufsveranstaltung für Dildos und andere Sextoys gewesen … und nun können Sie sich vermutlich schon denken, was weiter passiert ist.
»Aber das war doch alles ganz anders«, versuchte Frau Malleo mehrmals zu beteuern, doch die moderne Klatsch- und Tratsch-Welt ist im Hinblick auf VIPs und Stars knallhart, schnell und gnadenlos: Je mehr sich meine Chefin bemühte, die Wahrheit ans Licht zu bringen, desto weniger glaubte man ihr. Derartige Situationen entwickeln in diesen High-Society-Kreisen ab einem bestimmten Punkt eine fatale Eigendynamik. Das bekam auch Frau Malleo zu spüren, denn es genügte der hungrigen Meute offenbar nicht, ihr nicht zu glauben, sondern man bezichtigte sie sogar der Lüge.
In den Medien und in den sozialen Netzwerken kursierten innerhalb kürzester Zeit die wildesten Gerüchte über ausschweifende Sexpartys, regelmäßige Besuche in Swinger-Clubs (wobei Victoria Malleo zunächst einmal im Internet mit Googles Hilfe nachlesen musste, was ein »Swinger-Club« überhaupt ist), Sado-Maso-Spielchen und etliches mehr.
Ich beobachtete das Geschehen und verhielt mich ruhig. Ich war schließlich nur die Putzfrau, ich hatte keine Meinung zu haben und all das hatte mich nichts anzugehen. Mich fragte ja sowieso keiner. Mein Job in diesem Haus war, für Sauberkeit zu sorgen und mich nicht um den verbalen Schmutz zu kümmern, der über den Bewohnern ausgeschüttet wurde. Trotzdem sperrte ich Augen und Ohren auf – teils aus Neugierde, teils aus Interesse, und zum größten Teil, weil ich Frau Malleo mochte und diese Stelle nicht ganz ohne eigene Interessen angetreten hatte. Aber davon später mehr.
»Du siehst ja sicher ein, dass unsere Beziehung spätestens jetzt nicht mehr zu retten ist, Verena«, sagte Heinrich Mai in einem ruhigen und sachlichen Ton zu ihr. Genaugenommen klang er geradezu fröhlich, als er das sagte – beinahe so, als hätte er seiner Lebensgefährtin eine tolle Nachricht zu überbringen. Falls Sie jetzt wegen den Namen verwirrt sind: Victoria Malleo war und ist natürlich der Künstlername der berühmten Schauspielerin, von der ich hier rede. Ihr bürgerlicher Name war (und ist) Verena Hammer – aber mit einem solchen Namen macht man als Frau im Filmgeschäft keine Karriere; vor allem dann nicht, wenn man nicht aus irgendeiner Weltmetropole kommt, sondern aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Dresden.
Der berühmte Filmproduzent Heinrich Mai hatte sich Verena damals geschnappt, als ihr Stern gerade am Aufgehen war, hatte ihr den exotisch anmutenden Namen »Victoria Malleo« verpasst (wobei »Malleo« das lateinische Wort für »Hammer« ist, was Herrn Mais überschaubare Phantasie dokumentiert), eine Handvoll großartiger Kassenschlager mit ihr gedreht, sie zum Star aufgebaut, sie zu seiner Lebensgefährtin mit Traualtar-Option gemacht – und fickte inzwischen eine andere.