Vollstreckungstag, Teil 1
Halb 11 Uhr: Verkündigung der Todesurteile am heutigen Tage.
Dienst-Tagebuch Oberpfarrer Köck, Gefangenenseelsorger, 7. Februar 1944
Näherkommende Schritte, das Klirren eines Schlüsselbundes – bei jedem Geräusch draußen auf dem Gang rutscht Franz Doms das Herz in die Hose. Werden sie ihn heute holen? Seit dem Morgengrauen ist das die bange Frage. Am liebsten würde er sich in das von der Tür am weitesten entfernte Eck verkriechen, doch er widersteht diesem Instinkt. Verkrampft, aber aufrecht sitzt er auf seiner Pritsche, andauernd auf den Flur hinhorchend: Welche Zelle ist die nächste? Bewegen sich die Schritte in seine Richtung?
Irgendwo wird eine Zellentüre geöffnet. Es muss in der unmittelbaren Nachbarschaft sein. Den aufgerufenen Namen versteht er nicht eindeutig: „Soundso, mitkommen!“ Deutlich ist das Klappern von Holzschuhen zu hören, die jemand auf dem Steinboden abstellt. Wer gerufen wird, muss die schweren Pantoffel zuallererst ausziehen und sie vor seiner Zellentüre hinstellen. Den Sinn dahinter hat Franz nie ganz begriffen. Sollen sich die armen Seelen heimlich und verstohlen auf Socken aus dem Leben schleichen1, um die anderen Gefangenen nicht mit ihrem Getrampel auf dem letzten Weg aufzuscheuchen?
Immer, wenn am Abend Hinrichtungen geplant sind, ist es in der Früh zunächst ganz ruhig auf den Gängen und Treppen. Selbst die Hausarbeiter – ebenfalls Häftlinge, die für Putzarbeiten oder zum Austeilen der Mahlzeiten eingeteilt sind – werden in ihre Zellen gesperrt. Es herrscht Totenstille im ganzen Trakt, bis irgendwann die Vollstreckungskommission zu hören ist.
Ein metallisches Geräusch verursacht Franz Gänsehaut: das unverkennbare Klirren der Springerkette, die allen zum Tode Verurteilten umgelegt wird, sobald sie aus ihren Zellen geholt werden. Ein Reifen um das rechte Hand-, ein anderer um das linke Fußgelenk und beide mit einer Eisenkette diagonal miteinander verbunden – damit ist die Bewegungsfreiheit bis auf das Äußerste eingeschränkt.2 Selbst kurze Wege, wie der in den Waschraum, werden so zu einer gefährlichen Stolperstrecke und