: Jürgen Pettinger
: Franz Schwul unterm Hakenkreuz
: Verlag Kremayr& Scheriau
: 9783218012997
: 1
: CHF 17.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Er ist ein völlig haltloser, seinen widernatürlichen Trieben gegenüber machtloser Verbrecher, bei dem von Freiheitsstrafen kein erzieherischer oder abschreckender Erfolg mehr zu erwarten ist.' Anklageschrift gegen Franz Doms Franz Doms ist eines der vergessenen Opfer der NS-Justiz. Wie tausende andere schwule Männer wurde er verfolgt, diskriminiert, inhaftiert und schließlich zum Tode verurteilt. 1944 starb er im Alter von 21 Jahren im Hinrichtungsraum des Landesgerichts Wien. Bis zu seinem Tod blieb er loyal und denunzierte nie andere, um sich selbst zu retten. Jürgen Pettinger hat sich intensiv mit Franz Doms' Leidensweg auseinandergesetzt, erzählt bildhaft, was über sein Leben bekannt ist, zitiert aus überlieferten Ermittlungs- und Gerichtsakten und bildet Dialoge anhand von Gesprächsprotokollen nach. Doch Pettingers Zugang ist mehr als eine bloße Rekonstruktion der Fakten. Er taucht tief in die Welt Franz Doms' ein und zeichnet dessen letzte Lebensjahre auf intime und packende Weise nach, wodurch sein tragisches Schicksal, das exemplarisch für die systematische Verfolgung Homosexueller während des NS-Regimes steht, nah und spürbar wird.

Jürgen Pettinger, geboren 1976 in Linz, hat Wirtschaft& Management in Innsbruck studiert und als Redakteur und Moderator von  Tirol heute  im ORF-Landesstudio Tirol gearbeitet. 2012 wechselte er ins ORF-Zentrum Wien. Er moderiert die  ZIB18 , die  ZIB Flashes ,  ZIB Nacht  und gestaltet regelmäßig TV- und Radio-Reportagen. Für das Ö1-Radiofeature  Mit einem Warmen kein Pardon.   Der Fall Franz Doms  wurde er mit dem Prof. Claus Gatterer-Preis und dem deutschen dokKa-Preis geehrt.

Vollstreckungstag, Teil 1


Halb 11 Uhr: Verkündigung der Todesurteile am heutigen Tage.

Dienst-Tagebuch Oberpfarrer Köck, Gefangenenseelsorger, 7. Februar 1944

Näherkommende Schritte, das Klirren eines Schlüsselbundes – bei jedem Geräusch draußen auf dem Gang rutscht Franz Doms das Herz in die Hose. Werden sie ihn heute holen? Seit dem Morgengrauen ist das die bange Frage. Am liebsten würde er sich in das von der Tür am weitesten entfernte Eck verkriechen, doch er widersteht diesem Instinkt. Verkrampft, aber aufrecht sitzt er auf seiner Pritsche, andauernd auf den Flur hinhorchend: Welche Zelle ist die nächste? Bewegen sich die Schritte in seine Richtung?

Irgendwo wird eine Zellentüre geöffnet. Es muss in der unmittelbaren Nachbarschaft sein. Den aufgerufenen Namen versteht er nicht eindeutig: „Soundso, mitkommen!“ Deutlich ist das Klappern von Holzschuhen zu hören, die jemand auf dem Steinboden abstellt. Wer gerufen wird, muss die schweren Pantoffel zuallererst ausziehen und sie vor seiner Zellentüre hinstellen. Den Sinn dahinter hat Franz nie ganz begriffen. Sollen sich die armen Seelen heimlich und verstohlen auf Socken aus dem Leben schleichen1, um die anderen Gefangenen nicht mit ihrem Getrampel auf dem letzten Weg aufzuscheuchen?

Immer, wenn am Abend Hinrichtungen geplant sind, ist es in der Früh zunächst ganz ruhig auf den Gängen und Treppen. Selbst die Hausarbeiter – ebenfalls Häftlinge, die für Putzarbeiten oder zum Austeilen der Mahlzeiten eingeteilt sind – werden in ihre Zellen gesperrt. Es herrscht Totenstille im ganzen Trakt, bis irgendwann die Vollstreckungskommission zu hören ist.

Ein metallisches Geräusch verursacht Franz Gänsehaut: das unverkennbare Klirren der Springerkette, die allen zum Tode Verurteilten umgelegt wird, sobald sie aus ihren Zellen geholt werden. Ein Reifen um das rechte Hand-, ein anderer um das linke Fußgelenk und beide mit einer Eisenkette diagonal miteinander verbunden – damit ist die Bewegungsfreiheit bis auf das Äußerste eingeschränkt.2 Selbst kurze Wege, wie der in den Waschraum, werden so zu einer gefährlichen Stolperstrecke und