: Helmut Konrad
: Das Private ist politisch Marianne und Oscar Pollak
: Picus
: 9783711754578
: 1
: CHF 14.50
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Selten haben zwei Menschen eine Bewegung, ein Land, eine Zeit so sehr geprägt wie die Journalistin Marianne und der Journalist Oscar Pollak. Selten finden sich auch Lebensläufe, in denen das Private so sehr vom Politischen - von politischen Überzeugungen und deren Vermittlung - durchsetzt war. Die beiden prägten den österreichischen Journalismus der Zwischen- und Nachkriegszeit, Marianne Pollak als eine der ersten sozialistischen Nationalratsabgeordneten, die sich nicht nur für die Frauenrechte, sondern auch für das Recht auf Abtreibung engagieren, und als Chefredakteurin der Frau, Oscar Pollak als langjähriger Chefredakteur des Zentralorgans der SPÖ, der Arbeiter-Zeitung. Helmut Konrads Doppelbiografie zeichnet nicht nur das Leben und Wirken der beiden nach, sondern wirft auch einen Blick auf den Umgang der Sozialistischen Partei mit Emigrantinnen und Emigranten. Eine umfassende politische Doppelbiografie zweier wegweisender österreichischer Persönlichkeiten und damit ein Kapitel der Geschichte der frühen Jahre der Zweiten Republik.

Helmut Konrad, 1948 geboren, war 1993 bis 1997 Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz und Leiter des dortigen Instituts für Geschichte. Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zur politischen Geschichte der Ersten Republik und zur Alltagsgeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen. Im Picus Verlag erschien 2019 in der Reihe Wiener Vorlesungen als Band 193 gemeinsam mit Gabriella Hauch 'Hundert Jahre Rotes Wien'. Die Doppelbiografie 'Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak' erschien im Herbst 2021.

DIE GEMEINSAMEN ANFÄNGE


Gut sieben Jahrzehnte vor den dramatischen Ereignissen in Hinterstoder und in Wien war die politische Situation in Wien und in Österreich noch eine völlig andere. Wien war Weltmetropole, eine der größten Städte der westlichen Welt, die Hauptstadt eines riesigen multiethnischen Reiches, und die Habsburgermonarchie war dabei, ihre Modernisierungsrückstände aufzuholen. In den gut zwei Jahrzehnten, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs noch vergehen sollten, nahmen auf der politischen Ebene vor allem die nationalen Spannungen gewaltig zu. Unter »Nation« verstand man damals »Sprachnation«, aber biologistische Sichtweisen verkomplizierten gerade in dieser Zeit die Diskussionen. Die Definitionen von »Nation«, die Theorien dazu und die Lösungsvorschläge zur »Nationalen Frage« nahmen in der Habsburgermonarchie großen Raum ein. Auch die junge Sozialdemokratie sah sich dadurch herausgefordert. Was sie zur Nationalen Frage an Theorie und Lösungsvorschlägen erarbeitete, sollte im ganzen 20. Jahrhundert den weltweiten Diskurs mit prägen. Auf diesen theoretischen Arbeiten fußt der »Austromarximus«12.

Anderseits machte aber die demokratische Mitsprache im Staat Fortschritte. 1896 schuf die Badenische Wahlrechtsreform eine allgemeine Wählerkurie. Nun waren alle Männer über vierundzwanzig, die seit mindestens drei Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft besaßen und eine Sesshaftigkeit von zumindest einem Jahr nachweisen konnten, wahlberechtigt. Dieses Wahlrecht galt für die 5. Kurie, in der zwar fast alle Männer wählen durften, in der aber nur 72 der insgesamt 425 Sitze im österreichischen Reichsrat zu vergeben waren. Immerhin zogen vierzehn Sozialdemokraten ins Parlament ein, allesamt Vertreter der Industrieregionen außerhalb der Hauptstadt.

Die junge Arbeiterpartei hatte allerdings gerade erst ihre Häutungen hinter sich. Gut anderthalb Jahrzehnte rangen verschiedenste politische Positionen um den Führungsanspruch, Anarchisten, Syndikalisten, Lassalleaner und manche Splittergruppierung. Die Einigung war erst 1889 in Hainfeld gelungen, und die politische Feuerprobe wurde 1890 beim sogenannten »ersten Ersten Mai«13 bestanden, als man den öffentlichen Raum vor allem in Wien gewaltfrei und stolz besetzen konnte. Man war nicht länger staatsgefährdend