Perdikkas
der Halberwählte
Der Ring lag schwer in seiner Hand, als Perdikkas die Finger darum schloss; es war nicht das Gewicht des Goldes, aus dem er geschmiedet war, sondern das der Macht, die in ihm lag. Perdikkas schaute auf Alexanders regloses Gesicht hinunter, im Tode ebenso schön wie im Leben, und er fühlte, wie seine Welt ins Wanken geriet, sodass er sich mit der freien Hand am Kopfteil des Bettes festhalten musste. In das alte Eichenholz waren lebendig wirkende Tiergestalten geschnitzt.
Er atmete tief durch, dann richtete er den Blick auf seine Gefährten, die anderen sechs Leibwächter, die auf Leben und Tod auf den nunmehr verstorbenen König eingeschworen waren. Ihre Mienen zeugten von der Bedeutungsschwere des Augenblicks: Leonnatos und Peukestas liefen die Tränen, und ihre Brust bebte von Schluchzern. Ptolemaios’ Gesicht war erstarrt, die Augen geschlossen, als sei er tief in Gedanken versunken. Lysimachos spannte immer wieder die Kiefermuskeln an und ballte die Fäuste so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Aristonous rang nach Atem, dann vergaß er seine Würde, sank in die Hocke und stützte sich mit einer Hand am Boden ab. Peithon starrte Alexander mit großen, ausdruckslosen Augen an.
Perdikkas öffnete seine Hand und schaute auf den Ring hinunter. Dies war sein Moment – sollte er es wagen, ihn für sich zu beanspruchen? Immerhin hatte Alexander ihn dazu erwählt, den Ring zu empfangen.
Und er hat klug gewählt, denn von allen hier in diesem Raum bin ich seiner am meisten würdig, ich bin sein wahrer Erbe.
Er nahm den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete ihn eingehend: so klein, so mächtig.Kann ich ihn beanspruchen? Würden die anderen es zulassen? Die Antwort kam schnell, unliebsam und wenig überraschend. In der zweiten Gruppe abseits des Bettes stand sein jüngerer Bruder Alketas zwischen Eumenes, dem listigen kleinen griechischen Sekretär, und dem ergrauten Veteranen Meleagros. Alketas fing seinen Blick auf und schüttelte langsam den Kopf; er hatte Perdikkas’ Gedanken gelesen. Überhaupt hatten alle im Raum seine Gedanken gelesen, denn nun ruhten alle Blicke auf ihm.
«Er hat ihn mir gegeben», betonte Perdikkas, und aus seiner Stimme klang die Autorität des Symbols, das er vor sich hielt. «Er hat mich erwählt.»
Aristonous richtete sich auf und erwiderte mit matter Stimme: «Aber er hat dich nicht benannt, Perdikkas, auch wenn ich wünschte, er hätte es getan.»
«Dennoch halte ich den Ring in Händen.»
Ptolemaios deutete ein verwirrtes Lächeln an und zuckte die Schultern. «Es ist wahrhaftig ein Jammer, aber er hat dich halb erwählt, und ein halberwählter König ist nur ein halber König. Wo ist die andere Hälfte?»
«Ob er jemanden erwählt hat oder nicht», dröhnte eine Stimme, rau vom Kommandieren auf dem Schlachtfeld, «die Heeresversammlung entscheidet darüber, wer König von Makedonien wird. So ist es von jeher gewesen.» Meleagros trat vor, eine Hand am Griff seines Schwertes. Ein grauer Vollbart dominierte sein wettergegerbtes Gesicht. «Freie Makedonen haben zu bestimmen, wer auf dem makedonischen Thron sitzt, und freie Makedonen haben das Recht, den Leichnam des toten Königs zu sehen.»
Zwei dunkle Augen starrten Perdikkas an, forderten ihn heraus, sich den alten Sitten zu widersetzen; Augen, die voller Groll waren, das wusste Perdikkas