: Leena Lehtolainen
: Im Nachhall des Todes Maria Kallio ermittelt | Ein Finnland-Krimi
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644009745
: Die Maria Kallio-Reihe
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein neuer Fall für Maria Kallio und ihr Team von der Ki-Ju-Abteilung: Die fünfzehnjährige Isabella Räty wurde vergewaltigt. Dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um den irakischen Asylbewerber Rahim Nabeel handelt, löst einen fremdenfeindlichen Shitstorm aus und ruft die Straßenpatrouille um Isabellas Vater auf den Plan. Noch während der Ermittlungen findet man auf einem Minigolfplatz die Leiche eines siebzehnjährigen Transmädchens: Samira Zabir, die aus dem Irak geflohen war und bei ihrem Bruder in Finnland lebte. Ein rassistischer Anschlag oder ein religiös motivierter Ehrenmord? Dann verschwindet Isabella, und in ihrem Zimmer findet man die Tatwaffe, mit der Samira ermordet wurde ...

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.

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Jahnukainen machte mir das seltsamste Geburtstagsgeschenk meines Lebens. Ich war vor den anderen wach und ging leise in die Küche, denn ich wollte keinen Kaffee ans Bett. Es war ein normaler Arbeitstag, ich hatte nicht vor, meinen Geburtstag zu feiern. Ein Jahr mehr hatte nichts zu bedeuten.

An diesem Morgen Anfang März schneite es, aber unsere mittlere Katze wollte trotzdem nach draußen. Fünf Minuten später sprang sie auf das Fensterbrett neben der Tür und miaute. Sie hielt etwas zwischen den Vorderpfoten. Ich öffnete vorsichtig die Tür, denn unser Kätzchen Carolina durfte noch nicht nach draußen. Carolina und der alte Herr Venjamin lagen Schwanz an Schwanz auf dem Sofa, wurden aber munter, als Jahnukainen seine Beute zufrieden mitten in der Küche ablegte. War das eine Maus, eine Wühlmaus vielleicht? Carolina flitzte herbei, um das seltsame Ding in Augenschein zu nehmen. Es war unbehaart und in der Mitte flach. Darauf achtete man nicht, wenn es sich an der Stelle befand, wo es hingehörte.

Auf dem Küchenfußboden lag ein menschliches Ohr.

Carolina stürzte sich darauf und warf es mit der rechten Tatze in die Luft. Jahnukainen murrte, spielte dann aber mit. Das Geschenk war gar nicht für mich bestimmt – Jahnukainen wollte dem Kätzchen das Jagen beibringen. Verdammt. Vergeblich versuchte ich, mir das Ohr zu schnappen. Die Katzen fanden, das gehörte zum Spiel.

«Mama, ist das etwa echt?», rief Taneli und kam die Treppe heruntergerannt. Als Carolina das Ohr noch einmal hochwarf, fing Taneli es auf. Das Kätzchen versuchte, an seiner Trainingshose hochzuklettern, um wieder an die Beute zu kommen.

«Igitt, das ist wirklich echt!», ächzte Taneli und hielt mir das Ohr hin. Ich suchte in der Küchenschublade nach einem Plastikbeutel. Vorsichtig griff ich nach dem Ohr, ich wollte keine Fingerabdrücke hinterlassen. Es musste ohne weitere Schäden in die Pathologie gebracht werden. Das Ohrläppchen war nicht durchstochen, und aus dem Gehörgang wuchsen keine Härchen. Die Haut war ziemlich hell. Für die Suche nach dem Eigentümer war das Gewaltdezernat zuständig. Von dort würde jemand bei den Krankenhäusern anrufen und sich nach einem Patienten erkundigen, dem das linke Ohr fehlte.

Weil Jahnukainen kastriert war, beschränkte sich sein Revier auf wenige Quadratkilometer. Anders als Hunde finden Katzen nicht zu einer Fundstelle zurück.

«Herzlichen Glückwunsch, Mama.» Taneli umarmte mich. Nun kam auch Antti nach unten und überreichte mir ein Päckchen. Erst danach bemerkte er das Ohr.

«Ist die Chorprobe etwa aus dem Ruder gelaufen?», spekulierte er. Ich verstand nicht, was er meinte.

«In den beiden Passionen von Bach nimmt Petrus sein Schwert und säbelt einem Diener des Oberpriesters ein Ohr ab, als sie nach Golgatha kommen, um Jesus gefangen zu nehmen.»

Achselzuckend legte ich den Beutel mit dem Ohr in den Kühlschrank und setzte mich aufs Sofa, um Kaffee zu trinken und das Geschenk auszupacken. Venjamin drehte sich auf die andere Seite und schlief schnaufend weiter.

«Vielleicht will jemand ein berühmter Künstler werden, wie van Gogh», mutmaßte Taneli. «Gibt es heute Abend Kuchen? Iida hat doch versprochen zu backen, oder? Mein Training geht bis halb acht.»

Ich sagte, er solle seine Schwester fragen. In Anttis Päckchen waren wunderschöne Ohrringe mit grünen Steinen.

«Die passen zu deiner Augenfarbe», sagte er und beugt