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Paul lehnte in der weit offen stehenden Terrassentür und starrte abwesend hinaus in den Garten. Als über ihm eine Möwe kreischte, schrak er zusammen und hätte beinah das Telefon fallen lassen, das er noch immer in der Hand hielt. Seit mindestens einer Viertelstunde stand er hier und dachte über das Gespräch nach und über die möglichen Konsequenzen der eigentlich guten Nachricht. Gut? Hervorragend wäre passender ausgedrückt. Dennoch bereitete ihm die Neuigkeit Bauchschmerzen.
Er trat hinaus auf die Terrasse und legte das Handy auf den Tisch neben die Vase, die Kassandra mit einem Strauß aus lila Duftnesseln, gelben Sonnenaugen und Schafgarbe gefüllt hatte. Auf dem Rasen angekommen, legte er den Kopf in den Nacken, richtete seinen Blick in den fast wolkenlosen Himmel und schloss die Augen. Er spürte den leichten Wind auf seiner Haut, hörte in der Ferne ganz leise die See rauschen und versuchte, an gar nichts zu denken. Was ihm nicht gelang. Er wusste nicht, was er tun sollte, und konnte niemanden um Rat fragen. Unwillig über diesen letzten Gedanken öffnete er die Augen wieder. Sein Blick fiel auf eine zarte Kartoffelrosenblüte in der Hecke, die den Garten umschloss. Natürlich gab es Menschen, die er um Rat fragen konnte, Kassandra an allererster Stelle. Nur die Entscheidung musste er am Ende ganz allein fällen.
Er wollte schon ins Haus zurückgehen, hielt aber nach zwei Schritten inne. Kassandra stand in der Terrassentür. Ihren Ausdruck konnte er nicht erkennen, ihr Gesicht lag im Schatten. Erst als er näher kam und direkt vor ihr stehen blieb, sah er die Besorgnis in ihrem Gesicht.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, wollte sie wissen.
Sie kannte ihn zu gut. »Warum sollte es das nicht sein?«, fragte er dennoch.
Kassandras Lächeln fiel tiefgründig aus. »Sag du’s mir.«
Mit dem Zeigefinger strich Paul über Kassandras Wange. Er wusste, dass sie diese Berührung liebte und sie wie er auch als intimer empfand als jede andere Geste außerhalb des Schlafzimmers. Sein Finger malte die Konturen ihrer Halsbeuge nach und verfing sich in der zarten silbernen Kette mit dem hellblau schimmernden Muschelanhänger, den er ihr vor Jahren geschenkt hatte. Dass sie ihn trug, bedeutete ihm viel. Noch vor einem Jahr hätte er nicht sein letztes Hemd darauf verwettet. Noch vor einem Jahr hatte er befürchtet, sie zu verlieren. Ein Blick in ihre Augen sagte ihm, dass es dafür keinen Grund mehr gab.
Er holte tief Luft. »Meine Agentur hat angerufen.«
»Ja und?«, fragte Kassandra ratlos. »Du hast in den letzten Jahren mit allen deinen Romanen auf den Bestsellerlisten gestanden. Die werden doch keine Schwierigkeiten haben, dein nächstes Projekt zu verkaufen. Jeder Verlag, der was von dir ablehnt, wäre hochgradig dämlich.«
Trotz allem musste Paul grinsen. »Das ist schön formuliert, Kassandra, Liebes.« Dann wurde er ernst. »Nein, es ging nicht um das neue Projekt, es ging um ›Tiefes Meer‹.« Diesen Roman hatte er abgegeben, kurz nachdem sie letztes Jahr den Fall um den dubiosen Verkauf des Norderfelds und den damit verbundenen Mord gelöst hatten – und ihre eigenen sehr persönlichen Probleme. Nach einigen Thrillern war er mit »Tiefes Meer« zurückgekehrt zu seinen poetischen Geschichten um die Menschen und die See, mit denen er seine ersten Erfolge gefeiert hatte. Der Ro