: Madita Winter
: Mordlichter Kriminalroman
: Aufbau Verlag
: 9783841228369
: Anelie Andersson ermittelt
: 1
: CHF 11.80
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Eine Ermittlerin im Polarkreis.

An lie Andersson hat es an eine Polizeistation im nordschwedischen Polarkreis verschlagen. Hier lebt man fast das ganze Jahr in Eis und Schnee. Als sich eine Frau bei ihr meldet, weil ihr siebzehnjähriger Sohn verschwunden ist, macht Anelie sich an die Arbeit. Bald wird der Junge aufgefunden; er ist - in Felle gehüllt - überfahren worden. Doch offenbar wurde er zuvor irgendwo gefangen gehalten. Je intensiver sie ermittelt, desto mehr sagen Anelie ihre Erfahrung und Intuition, dass es um mehr geht als um einen Unfall. Sie findet heraus, dass in den letzten Jahren mehrere Menschen ebenfalls spurlos verschwanden. Und dann werden zwei deutsche Touristen vermisst ...

Ein spannender Plot - mit einem einzigartigen Schauplatz: der hohe Norden Schwedens.



Hinter Madita Winter verbirgt sich das Autorenpaar Madita und Stefan Winter, das tatsächlich in der Abgeschiedenheit auf einer Halbinsel in der nordschwedischen Wildnis lebt. Die deutsche Journalistin und Autorin ist wegen ihres Mannes vor vier Jahren in die Nähe von Jokkmokk gezogen ist. Dort wurde die Idee geboren, Lappland als Kulisse für einen Kriminalroman zu verwenden. So nutzten die beiden die langen Abende, um 'Mordlichter' zu kreieren und zu schreiben. Gemeinsam arbeiten sie bereits an einem zweiten Fall.

1


Er steckt fest bis zum Hals, eingeschnürt wie in eine Zwangsjacke. Wütend schüttelt er sich einem nassen Hund gleich, bis sein Oberkörper frei ist. Sein Schneemobil hat sich in den Tiefschnee eingegraben und ist von diesem komplett einverleibt worden, fast so als wäre es kein Schnee, sondern Treibsand. Von dem riesigen Fahrzeug ist kaum noch etwas zu sehen; sein Fahrer ragt wie ein Mann ohne Unterleib aus dem weißen Teppich hervor. Mit einem Ruck schwingt er sich von seinem Gefährt und sucht nach der Schaufel, die seitlich am Sitz mit einem Gurt befestigt ist. Bis er sie unter den Schneemassen findet, beginnt er schon leicht zu schwitzen.

Schneeschaufeln ist eigentlich keine große Sache, aber unter diesen Umständen hier sieht es völlig anders aus. Der Schnee ist federleicht wegen der trockenen Kälte, was die Arbeit keineswegs leichter macht. Von der Schaufel fliegt der Schnee wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm in alle Richtungen, um langsam wieder herunterzurieseln. Über eine Stunde hat er gebraucht, um zwei Meter hinter seinem Schneemobil und an den Seiten den meisten Schnee beiseitezuräumen. Verschwitzt verstaut er die Schaufel wieder, setzt sich auf seinen Skooter, startet den Motor und fährt ihn vorsichtig zwei Meter zurück.

Mach nur keinen Fehler jetzt, ermahnt er sich selbst. Langsam verlagert er sein Gewicht nach hinten, um sich dann mit Vollgas wie über eine Schanze aus dem Schneeloch herauszukatapultieren. Das Manöver gelingt, doch jeglicher Vortrieb am Schneemobil endet schlagartig nach der Landung, und sein Gefährt versinkt erneut im tiefen Schnee. Er ahnt den Grund.

»Fuck!«, schreit er aus vollem Halse.

Durch die abrupte Beschleunigung muss der Zahnriemen der Raupe gerissen sein, eine lästige Panne, die vorkommen kann. Ausgerechnet jetzt, denkt er beunruhigt. Er flucht leise weiter darüber, dass er sich selbst in diese verzwickte Situation gebracht und keinen Ersatzzahnriemen dabeihat, wie es eigentlich üblich ist. Ein Wegkommen mit dem Schneemobil ist nun unmöglich.

Ich habe mich ziemlich in die Scheiße geritten mit dieser verdammten Abkürzung, ärgert er sich über seine eigene Dummheit. Ohne fremde Hilfe wird er hier nicht mehr herauskommen. Er fischt sein Mobiltelefon aus der Innentasche seiner Jacke und tippt mit klammen Fingern eine kurze Nachricht:Stecke mit Schneemobil fest. Weiß nicht, bis wann ich da sein kann. Melde mich asap.

Schnell packt er das Telefon wieder weg. Allein diese kurze Nachricht in der Kälte hat ihm zwanzig Prozent seines Akkus weggefressen. Er muss sehr vorsichtig sein, er braucht es noch, um im schlimmsten Fall Hilfe zu holen.

Er wirft einen prüfenden Blick zum Himmel. In der Ferne sieht er die weißgraue Front, die bedenklich schnell näher kommt. Dieses Wolkenphänomen kennt er gut genug, um zu wissen, dass sich da etwas ganz Übles zusammenbraut. Der Wetterbericht hat zwar einen Schneesturm vorhergesagt, aber eigentlich erst für den kommenden Tag. Nur hält sich der Polarkreis leider nicht an derartige Vorhersagen, er hat seine eigenen Regeln in puncto Wetter, die keiner wirklich durchschaut. Hier oben wirken andere gewaltige Kräfte, und jetzt befindet er sich schlagartig in einer lebensbedrohlichen Situation.

Er muss schleunigst weg, sonst ist er in der Wildnis verloren. Aber zu den anderen kann er nicht zurück. Der Weg ist viel zu weit, und wie sollte er das alles auch erklären? Suchend schaut er sich um. Er weiß, dass es hier irgendwo einen Unterschlupf oder eine Schutzhütte gibt, er muss diesen Ort nur finden. Er weiß aber auch, dass er zehn Kilometer in jede Richtung gehen könnte, ohne auf jemanden in dieser Wildnis zu treffen. Für einen Kilometer braucht man hier zu Fuß unter diesen Bedingungen abseits der Wege durch den tiefen Schnee locker eine Stunde. Er darf jetzt keine weiteren Fehler mehr machen.

Die beste Option, die ihm bleibt, ist, auf seiner eigenen Spur so schnell wie möglich, solange es noch hell ist, zurück zu dem Winterweg zu finden, den er für eine vermeintliche Abkürzung verlassen hat. Zum Glück hat er die Schneeschuhe mitgenommen. Sie sind auf dem Gepäckträger des Schneemobils befestigt. Er legt die Schneeschuhe auf den freigeschaufelten Boden, schlüpft hinein, zieht die Handschuhe aus und zurrt die Riemen fest, während er darauf achtet, mit der blanken Haut kein Metall zu berühren. Seine Haut würde sofort daran kleben bleiben, was unangenehme Verletzungen zur Folge hätte. Schnell zieht er die Handschuhe wieder an und packt seine Stirnlampe ein; ohne sie ist er in der Dunkelheit verloren. Hoffentlich reicht die Batterie noch, denkt er mit einem flauen Gefühl im Bauch und stapft los.

Ohne die großen ovalen Teller unter seinen Füßen würde er bis über beide Knie trotz seiner eigenen Schneemobilspur im Schnee versinken. Ein Zusammenpressen des Schnees durch ein einziges Darüberfahren mit dem Schneemobil erzeugt noch keinen festen Untergrund, ist aber hundertmal angenehmer als abseits im wirklich tiefen Schnee. So kommt er wenigstens einigermaßen voran, wenngleich ihn sein Tempo an Zeitlupe erinnert. Er arbeitet sich auf seiner eigenen Spur quälend langsam zum Winterweg zurück. Trotz der Kälte schwitzt er stark. Da er nicht mit einem schweißtreibenden Fußmarsch gerechnet hat, trägt er nicht das bewährte Zwiebelprinzip. Wenn er nun stehen bleibt, wird er durch die feuchte Unterkleidung zu frieren beginnen, ein Teufelskreis. Deswegen darf er keine Pause einlegen, er muss ohne Unterlass weitergehen.

Während er sich Schritt für Schritt durch den Wald kämpft, ärgert er sich über sich selbst. Warum ist er nur auf diese Schnapsidee gekommen, den vorgespurten Winterweg zu verlassen, um querfeldein zu fahren und eine Abkürzung zu nehmen? Wegen dieser unüberlegten Entscheidung steckt er jetzt in diesem Schlamassel und liegt nicht in ihren Armen, wie eigentlich geplant. Er weiß nicht, worüber er sich mehr ärgert, über diese fatale Fehlentscheidung oder über das verpasste Rendezvous. Die Wut hat einen Vorteil, sie lenkt ihn ab von der Angst, die unaufhörlich in ihm aufsteigt.

Äste peitschen ihm ins Gesicht, Schnee fällt von den überladenen Ästen auf ihn herunter, sein Puls hämmert in seinem Hals. Er hat das Gefühl, dass seine Ader unter dem Druck platzen müsste. Er stolpert, stürzt, taucht unter im tiefen Schnee. Mühsam rappelt er sich wieder auf, schüttelt den Schnee ab und setzt seinen Weg fort. Er weiß, wenn er jetzt nachlässt oder hier zurückbleibt, ist er in ernster Gefahr. Er hat nicht vor, zur Eismumie zu erstarren.

Zweieinhalb Stunden später erreicht er den vorgespurten Winterweg. Die Musher, die Schlittenhundeführer, spuren diese Wege mit ihren Schneemobilen mit Beginn jedes Winters, indem sie mehrfach darüber fahren, den Schnee verdichten und so ihren Hunden einen idealen Laufuntergrund für ihre langen Schlittentouren verschaffen.

Die Dunkelheit bricht herein, obwohl es erst früher Nachmittag ist. Der Schnee schenkt ihm noch für einige Zeit eine milchige Helligkeit. Er hat jedoch gerade gar keine Augen für die Schönheit dieser winterlichen Zauberwelt, die ihn so schmeichelnd umgibt. Er nimmt das Glitzern der Eiskristalle nicht wahr, die wie silberne Weihnachtskugeln an den Bäumen hängen. Er sieht nicht die bizarr verformten Kiefern, die Schnee und Eis in futuristische Skulpturen verwandelt haben. Er übersieht den puderweichen Schneeteppich, der sich zwischen die Bäume wie eine weiße Düne gelegt hat und deren Stämme sanft hüllt. Er kennt diesen Anblick nicht nur zur Genüge, er ist auch viel zu erschöpft, durchgefroren, durstig und hungrig, als dass er auch nur einen Blick an diese magische Winterwelt verschenken könnte.

Unbeirrt setzt er einen Fuß vor den anderen, er muss einfach nur weitergehen in Richtung Straße. Suchend lässt er seinen Blick schweifen. Plötzlich entdeckt er etwas in der Ferne, es sieht aus wie ein Licht, das zwischen den Bäumen hervorschimmert. Er reibt sich die Augen und starrt erneut in diese Richtung. Er war hier schon in dieser Gegend unterwegs gewesen, kann sich aber nicht erinnern, eine Hütte gesehen zu haben. Kein Zweifel, dort gibt es Licht, was auf Menschen schließen lässt. Ein Seufzer der Erleichterung entweicht seiner trockenen Kehle. Jetzt ist er sicher, er muss es nur noch bis dorthin schaffen.

Für einen Moment glaubt er, einen Schatten...