: Louise Erdrich
: Der Nachtwächter Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841228079
: 2
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 544
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Pulitzer Prize for Fiction 2021.

Kann ein Einzelner den Lauf der Geschichte verändern? Kann eine Minderheit etwas gegen einen übermächtigen Gegner, den Staat, ausrichten? »Der Nachtwächter«, der neue Roman der mit dem National Book Award ausgezeichneten Autorin Louise Erdrich, basiert auf dem außergewöhnlichen Leben von Erdrichs Großvater, der den Protest gegen die Enteignung der amerikanischen UreinwohnerInnen vom ländlichen North Dakota bis nach Washington trug. Elegant, humorvoll und emotional mitreißend führt Louise Erdrich vor, warum sie zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart gezählt wird - und zeigt, dass wir alle für unsere Überzeugungen kämpfen sollten und dabei manchmal sogar etwas zu verändern vermögen.

»Mir stockte der Atem, als ich begriff, was meinem Großvater von seinem Nachtwächter-Schreibtisch aus gelungen war.«Louise Erdrich.

»Ein meisterhaftes Epos. Nach der Lektüre ist man tief bewegt und vermisst diese Figuren, als wären sie echte Menschen.«New York Times Book Review.

»Mit diesem Roman ist Louise Erdrich auf der Höhe ihrer genialischen Schaffenskraft angelangt.«Washington Post.



Louise Erdrich, geboren 1954 als Tochter einer Ojibwe und eines Deutsch-Amerikaners, ist eine der erfolgreichsten amerikanischen Gegenwartsautorinnen. Sie erhielt den National Book Award, den PEN/Saul Bellow Award und den Library of Congress Prize. Louise Erdrich lebt in Minnesota und ist Inhaberin der Buchhandlung Birchbark Books.

Schmalz auf Brot


Pixie Paranteau tupfte Klebstoff auf einen Edelsteinrohling, um ihn zum Bohren zu fixieren. Sie nahm den vorbereiteten Stein mit der Pinzette auf und legte ihn auf der Bohrkarte in eine winzige Vertiefung. Wenn sie wütend war, neigte sie zur Perfektion. Ihr Blick wurde schärfer, die Gedanken konzentrierter, die Atmung ruhig. Den Spitznamen Pixie trug sie seit ihrer Kindheit wegen ihrer feenhaft schräg stehenden Augen. Seit dem Highschool-Abschluss versuchte sie alle daran zu gewöhnen, sie Patrice zu nennen. Nicht Patsy, nicht Patty, nicht Pat. Aber selbst ihre beste Freundin weigerte sich, Patrice zu sagen. Und ihre beste Freundin saß direkt neben ihr und platzierte ebenfalls winzige Edelsteinrohlinge in endlosen Reihen. Nicht ganz so schnell wie Patrice, aber am zweitschnellsten von allen Mädchen und Frauen. Bis auf das Summen der Deckenleuchten war es in der Halle still. Patrice’ Puls verlangsamte sich. Nein, sie war kein Feenwesen, auch wenn sie zierlich war und die Leute manchmal »Wawiyazhinaagozi« zu ihr sagten, was man übelwollend als »Ist die niedlich!« übersetzen konnte. Patrice war nicht niedlich. Patrice hatte eine Festanstellung. Patrice stand weit über lächerlichen Zwischenfällen wie der Fahrt ins Nirgendwo, zu der Bucky Duvalle und seine Kumpel sie mitgenommen hatten, die seitdem überall herumerzählten, wie willig sie etwas mitgemacht hätte, das nie stattgefunden hatte. Das nie stattfinden würde. Und wenn man Bucky jetzt ansah … Nicht, dass sie etwas damit zu tun gehabt hätte, was mit seinem Gesicht passiert war. So etwas tat Patrice nicht. Patrice wollte auch darüberstehen, das braune Erbrochene ihres versoffenen Vaters auf der Bluse zu finden, die sie zum Trocknen neben den Ofen gehängt hatte. Er war von einer seiner Sauftouren zurück, geiferte, spuckte, drängte, heulte, drohte ihrem kleinen Bruder Pokey und flehte Pixie um nur einen Dollar an, nein, einen Quarter, um einen Dime bloß. Nicht mal einen winzigen Dime? Wollte zwei Finger aufeinanderlegen und brachte sie nicht zusammen. Nein, sie war nicht diese Pixie, die das Messer versteckt und ihrer Mutter geholfen hatte, ihn auf ein Feldbett im Schuppen zu verfrachten, damit er schlafen konnte, bis er das Gift los war.

Heute Morgen hatte sie eine ihrer alten Blusen angezogen, war zur Straße vorgelaufen und zum ersten Mal bei Doris Lauder und Valentine Blue mitgefahren. Ihre beste Freundin hatte so einen poetischen Namen und gönnte ihr noch nicht einmal Patrice. Im Auto hatte Valentine vorn gesessen und gesagt: »Pixie, sitzt du gut auf der Rückbank? Ich hoffe, du hast es bequem.«

»Patrice«, sagte Patrice.

Keine Antwort.

Valentine! Da plauderte sie nun mit Doris Lauder über Kuchen mit Kokosraspeln. Kokosraspeln? Wuchsen etwa in tausend Meilen Umkreis irgendwo Kokosnüsse? Valentine. In ihrem orange-goldenen Tellerrock. Schön wie der Abendhimmel. Und drehte sich nicht ein Mal um. Reckte die Finger in ihren schicken neuen Handschuhen, damit Patrice sie bewundern konnte, aber bloß von hinten. Und dann tauschte sie sich mit Doris darüber aus, wie man Rotweinflecken aus einer Serviette entfernen konnte. Als hätte Valentine je eine Serviette besessen! Und hätte je