Die drei Brüder Karamasow könnten unterschiedlicher nicht sein, einzig der tiefe Konflikt mit ihrem moralisch verkommenen Vater, Fjodor Karamasow, eint sie. Dmitri, der Älteste, macht kein Geheimnis daraus, dass er den Vater abgrundtief hasst, weil dieser ihm sein Erbteil vorenthält und zudem um dieselbe Frau buhlt wie er. Doch als der Vater brutal ermordet wird, hat jeder der Brüder ein Motiv. Das Gerichtsurteil trifft zwar den Falschen, vor dem inneren Richter jedoch begegnet jeder der Brüder den Verstrickungen seiner ganz persönlichen Schuld.
Dostojewski letzter großer Roman - ein Meisterwerk der russischen Literatur.
'De großartigste Roman, der je geschrieben wurde.' Sigmund Freud.
'Dostoj wskis Romankunst ist nicht katalogisierbar, sondern wild wie keine andere des 19. Jahrhunderts.' FAZ.
Alexej Fjodorowitsch Karamasow war der dritte Sohn des in unserem Kreis ansässigen Gutsbesitzers Fjodor Pawlowitsch Karamasow, dessen Name damals in aller Munde war (und noch heute bei uns zuweilen genannt wird), weil sein Leben auf so tragische und geheimnisvolle Weise endete, was vor genau dreizehn Jahren geschah und worüber ich, wenn es an der Reihe ist, berichten werde. Einstweilen will ich über diesen »Gutsbesitzer« (wie man ihn bei uns nannte, obwohl er in seinem ganzen Leben fast nie auf seinem Gut gelebt hatte) nur soviel sagen: Er verkörperte einen merkwürdigen, dabei ziemlich häufig vorkommenden Typ, den Typ des nicht einfach nur lottrigen und ausschweifenden, sondern stumpfsinnig lottrigen und ausschweifenden Menschen, und zählte wiederum zu jenen Stumpfsinnigen, die es verstehen, ihre Besitzangelegenheiten – und offenbar nur sie – aufs beste wahrzunehmen. Fjodor Pawlowitsch zum Beispiel hatte fast mit nichts angefangen, unter den Gutsbesitzern war er ein ganz kleiner gewesen, er hatte, hierhin und dahin laufend, von fremden Tischen sich genährt, um ein rechtes Krippenreiterdasein sich bemüht; dagegen besaß er, als der Tod ihn ereilte, allein an Geld, wie sich zeigte, beinahe hunderttausend Rubel. Dennoch hatte er sein Leben lang nicht aufgehört, einer der stumpfsinnigsten Querköpfe in unserem ganzen Kreis zu sein. Ich wiederhole: Nicht von Dummheit ist die Rede; die meisten dieser Querköpfe sind ziemlich schlau und verschlagen; nein, es ist wirklich Stumpfheit, und zwar eine von besonderer Art, von nationaler Eigentümlichkeit.
Zweimal war er verheiratet gewesen, und er hatte drei Söhne: den ältesten, Dmitri Fjodorowitsch, von der ersten Frau, die anderen beiden, Iwan und Alexej, von der zweiten. Die erste Frau Fjodor Pawlowitschs stammte aus dem ziemlich reichen und angesehenen Adelsgeschlecht der Miussows, die gleichfalls Gutsbesitzer in unserem Kreis waren. Wie es geschehen konnte, daß ein Mädchen mit beträchtlicher Mitgift, zudem eine Schönheit und, mehr noch, eines jener selbstbewußten, gescheiten Wesen, die wir bei der heutigen jungen Generation keineswegs selten finden, die es aber hier und da auch früher schon gegeben hat – daß also dieses Mädchen solch einen schäbigen »Kümmerling«, wie alle ihn damals nannten, heiratete, werde ich nicht weiter zu erklären versuchen. Kannte ich doch eine – noch zur »romantischen« Generation von dazumal zählende – unverheiratete Dame, die nach etlichen Jahren geheimnisvoller Liebe zu einem Herrn, den sie übrigens jederzeit in aller Ruhe hätte heiraten können, am Ende sich selber unüberwindliche Hindernisse ausdachte und sich in einer stürmischen Nacht von einem felsigen Hochufer in einen ziemlich tiefen und rasch strömenden Fluß stürzte, wo sie den Tod fand, dessen Ursache buchstäblich ihre eigenen Launen waren; sie starb so, einzig um der Shakespeareschen Ophelia zu gleichen; ja, wäre dieser Felsen, auf den sie seit langem ihre Aufmerksamkeit gerichtet und den sie liebgewonnen hatte, nicht so malerisch gewesen, hätte vielmehr statt seiner der Fluß an dieser Stelle ein prosaisches flaches Ufer gehabt, so wäre der Selbstmord womöglich ganz unterblieben. Dies ist wirklich geschehen, eine Tatsache, und es gilt zu bedenken, daß unser russisches Leben in den letzten zwei, drei Generationen von solchen oder ganz gleichartigen Tatsachen nicht wenige aufzuweisen hat. Ähnlich verhielt es sich mit dem Schritt, zu dem Adelaida Iwanowna Miussowa sich entschloß; zweifellos war es Widerhall fremden Sinnens, war eben auch »gefangnen Geistes Wallung«. Vielleicht trieb es sie, weibliche Selbständigkeit zu beweisen, etwas zu unternehmen gegen die Verhältnisse der Gesellschaft, gegen den Despotismus von Sippe und Familie, und die gefügige Phantasie mochte sie, sei es auch nur für einen Augenblick, davon überzeugt haben, daß Fjodor Pawlowitsch ungeachtet seiner Krippenreiterrolle immerhin einer der durch große Kühnheit und ätzenden Spott sich auszeichnenden Männer jener Epoche des Übergangs sei – des Übergangs zu jeglichem Besseren; dabei war er ein boshafter Possenreißer,