: Rebekka Eder
: Die Schokoladenfabrik - Die Tochter des Apothekers Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841227799
: Die Stollwerck-Saga
: 3
: CHF 2.40
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 544
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
< >Bonbons, Liebe und Revolution.

Kö n, 1838: Anna Sophia liebt es, ihrem Vater in der Apotheke zu helfen. Stolz ist sie auch auf ihre eigene Kreation: köstliche Hustenbonbons. Als der Apothekergeselle August um ihre Hand anhält, blickt sie einer sicheren Zukunft entgegen. Doch plötzlich wird ihr Vater krank. Die Ärzte scheinen ihm nicht helfen zu können, und ausgerechnet August gerät unter Verdacht, ihrem Vater schaden zu wollen, um die Apotheke an sich zu reißen. Währenddessen kehrt Franz Stollwerck, der Sohn des Krämers, nach Jahren der Wanderschaft in die Stadt zurück. Er ist schon seit Kindertagen in Anna Sophia verliebt, und auch sie hat nie aufgehört an ihn zu denken. Als er ihr einen Heiratsantrag macht, steht Anna Sophia vor einer schwierigen Entscheidung ...

Inspiriert von einer wahren Geschichte: Der große Auftakt einer farbenprächtigen Saga über die Kölner Familie Stollwerck und den Aufstieg ihres berühmten Schokoladenimperiums.

'Ein wundervolles Buch voller Sprachpoesie und Spannung.' Miriam Georg, Autorin von 'Elbleuchten'.



Rebekka Eder, 1988 in Kassel geboren, hat Theaterwissenschaft und Germanistik in Berlin, Erlangen und Bern studiert und gleichzeitig ihre ersten Romane veröffentlicht. Nachdem sie als Werbetexterin und Journalistin gearbeitet hat, konzentrierte sie sich schließlich ganz auf ihre Leidenschaft. Sie lebt und schreibt in Nordhessen.

1. Kapitel


Anna Sophia konnte es kaum erwarten. Während sie die Arzneifläschchen ordnete, schaute sie immer wieder zu ihrem Vater hinüber. Würde er es ihr heute erlauben? Am Rücken, den er ihr zuwandte, konnte sie keine Hinweise auf seine Stimmung ablesen. Wie ein knorriger Baum stand Gottlieb am Tresen seiner Apotheke. Er stützte sich auf die Fingerspitzen, während er in sein Kassenbuch starrte. Anna Sophia verglich ihn gern mit dem Lindenbaum, der direkt vor der Ladentür seine Äste und Blätter in den Himmel reckte. Er war genauso stark, unverrückbar, in dieser Stadt verwurzelt wie er. In letzter Zeit aber auch etwas ausgedünnt, seine Äste schienen trocken. Der Baum hatte schon bessere Tage gesehen, und doch wirkte er noch immer herrschaftlich. Auch an diesem schon fortgeschrittenen Abend. Durch das Schaufenster und die Äste der Linde konnte Anna Sophia den Neumarkt Kölns sehen, auf dem nur noch vereinzelt Mägde mit ihren weißen Hauben und an Armen baumelnden Körben über die Straße eilten. Wenn sie Glück hätte, würde ihr Vater den Laden in Kürze für heute schließen.

»Anna Sophia? Hörst du nicht?«, fragte ihr Vater, ohne den Kopf zu heben. Sie zuckte zusammen. Hatte sie mal wieder geträumt? Verflixt nochmal, dachte sie. Wieso musste ihr das ständig passieren?

»Entschuldige, Papa, was hast du gesagt?«

»Ob deine Schwestern versorgt sind, habe ich gefragt.«

»Natürlich. Betty ist bei ihnen.«

Die Haushälterin der Familie war immer bei ihren Schwestern. Während der Hausarbeit betreute sie die Kleinen, Julie und Elise, und gleichzeitig hatte sie noch ein offenes Ohr für die sechzehnjährige Wilhelmine.

»Ich nehme an, die Regale sind sauber?«

»Blitzblank«, bestätigte Anna Sophia. Ihren stolzen Blick konnte er nicht sehen, denn er drehte sich noch immer nicht um. Doch es stimmte: Sie hatte sämtliche Regale abgestaubt, die sich an den Seiten der Apotheke fast bis unter die Decke drängten und in den oberen Reihen mit Schachteln, Dosen und Karaffen gefüllt waren. Auch die Türchen der Schubladen in den unteren Reihen hatte sie abgewischt, und die bronzefarbenen Verzierungen, die den Abschluss der Regale bildeten, glänzten in der Abendsonne. Sogar den Apothekertisch, auf den sich Gottlieb gerade stützte, hatte sie ausgeräumt und seine kleinen Schubladen gesäubert. Neben dem dicken Kassenbuch leuchtete die große Waage mit den bronzenen Schalen – auch die hatte sie poliert. Sie liebte es, wenn die Apotheke so glänzte wie jetzt.

»Nun gut«, sagte er. Gleich würde er es ihr erlauben, doch in diesem Moment läutete das Glöckchen über der Ladentür. Anna Sophia bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen. Wieso musste kurz vor Ladenschluss immer noch jemand hereinkommen? Diesmal war es ein Bediensteter, doch als Anna Sophia ihn erkannte, wich sie erschrocken zurück. Sie stieß gegen den Apothekerschrank und die Fläschchen zitterten. Der Mann hatte Schatten um die Augen, lichtes Haar und bis auf den Leberfleck, der auf seiner Stirn prangte, sah er aus wie ein gewöhnlicher Dienstbote. Dennoch wusste sie genau, wer er war und für welche Familie er arbeitete. Ob er sich wohl auch an sie erinnerte? Damals war Anna Sophia ein Kind gewesen, trotzdem wusste sie noch genau, wie sie zum ersten Mal an die fremde Tür geklopft hatte, mit zahlreichen Medikamenten im Gepäck. Und welcher Mann sie hereingebeten und die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Sie kniff Lippen und Augen zusammen. Daran wollte sie sich nicht erinnern, nie wieder. Mit aller Kraft schob sie die Bilder beiseite, doch sie machte dadurch nur Platz für eine weitere Erinnerung: Es war ein sonniger Tag im September, an dem sie eigentlich Brot und Äpfel hatte kaufen wollen. Sie stand in einer schmalen Gasse, die von der Bäckerei in Richtung Dom führte. Fast fühlte Anna Sophia wieder den kalten Stein der Fassade in ihrem Rücken, sie sah wieder, wie jemand auf sie zukam: eine große Gestalt, ein breites Grinsen. Anna Sophia schloss die Augen, atmete tief ein und aus, bevor sie sie erneut öffnete und sich zwang, wieder in der Gegenwart der Apotheke anzukommen.

Mittlerweile war der Bedienstete näher an ihren Vater herangetreten. »Ich komme mit einem … komplizierten Anliegen. Herr Mertens fühlt sich nicht wohl. Er hat einen fürchterlichen Husten.«

Gottlieb nickte. »Was sagt der Arzt?«

»Er zieht … nun, ja … eine Schwindsucht in Betracht. Aber ein vornehmer Mann wie Herr Mertens … Woher soll er denn die Schwindsucht haben?«

Gottlieb wendete sich zu seiner Tochter um. Die Enden seines weißen, gezwirbelten Schnurrbarts hingen bereits ein wenig hinab – wie immer, wenn sich der Tag gen Abend neigte. »Anna, rufst du bitte nach August?«

Anna Sophia nickte, drehte sich um und öffnete die Hintertür neben dem Apothekerschrank. Während sie den Gang entlanglief, spürte sie, wie ihr Herz schneller schlug. Heute hatte sie gar nicht mehr damit gerechnet, ihn noch einmal zu treffen. Für gewöhnlich experimentierte der Gehilfe ihres Vaters im Hinterzimmer bis spät in die Nacht mit Medikamenten. Wenn er das Haus verließ, war sie schon längst oben auf ihrem Zimmer. Nun atmete sie tief ein, um ihre Nervosität zu bekämpfen, und klopfte.

»August?«

Sie hörte ein Räuspern, Schritte, dann ging die Tür auf.

»Anna Sophia! Ist alles in Ordnung?«

»Ja, ähm, nein, also …«, stammelte sie. August lächelte munter, seine Augen funkelten, und sein lockiges Haar zeigte rechts und links seiner Ohren fröhlich in die Luft. Er legte wie ein galanter Diener eine Hand auf den Rücken. »Oh. Was ist geschehen?«

Wenig später stand Anna Sophia wieder mit verschränkten Fingern vor dem Apothekerschrank und beobachtete das Gespräch zwischen den drei Männern am Tresen.

»Könnten Sie Herr Mertens’ Zustand ein wenig genauer beschreiben?«, bat Gottlieb den Dienstboten.

»Der Herr ist seit drei Tagen sehr erschöpft.«

»Leidet er unter Nachtschweiß?«, fragte August, während er sein Monokel zwischen Augenbraue und Wange klemmte. Gottlieb belohnte ihn für diese Frage mit einem kaum merklichen Nicken.

»Ich fürchte, ja.«

»Appetitlosigkeit?«

»Er isst seit Tagen nicht mehr.«

»Bekommt er Fieberschübe?«

»Tagsüber sinkt das Fieber, aber nachts ist es schlimm.«

August zog eine Braue hoch und ließ dabei das Monokel von seinem Auge springen, so dass es an der silbernen Kette von seinem Hals baumelte. »Mmh.« Er sah den Apotheker an.

»Wir empfehlen Herrn Mertens dringend, auf den Rat seines Arztes zu hören«, übernahm Anna Sophias Vater. »Er braucht viel frische Luft und Bettruhe. Am besten wäre der Besuch eines Sanatoriums. Wir hätten außerdem eine exzellente Gesundheitsschokolade im Sortiment. Sie erfrischt und vermehrt die Lebensgeister, hilft gegen Husten und erweicht kalten und zähen Schleim.«

Der Diener kratzte sich an der Stirn oberhalb seines Leberflecks. »Nun ja, was soll ich sagen? Er bittet lediglich um Ihre Hustenbonbons, Herr Müller.«

Gottlieb seufzte und sah über die Schulter zu seiner Tochter. »Haben wir noch welche?«

Anna Sophia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Wenige, Vater«, sagte sie und hob ein großes Glas vom Regal. Mit einer Kelle fischte sie die letzten verbliebenen Kräuterbonbons heraus und wickelte sie in Papier.

Der Mann zahlte und nahm die Bonbons an sich. Dann griff er nach der Türklinke – und hielt inne. Mit einem Mal schüttelte ihn ein heftiger Hustenanfall. Er krümmte sich, und während er nach Luft rang, röchelte und japste, fiel ihm das Bonbonpäckchen aus der Hand. Noch in der Luft öffnete sich das Papier, die Bonbons fielen herunter und kullerten einzeln über den Fußboden.

Als der Mann gegangen war, kniff August die Lippen zusammen. Gottlieb zwirbelte sich mit den Fingern beider Hände den Schnurrbart zurecht. Und Anna Sophia trat von einem Fuß auf den...