1. KAPITEL
Heiß wie die Hölle, kalt wie das Grab.
Diese Redensart seines Heimatlandes ging Shehab nicht aus dem Kopf. Er sah sich im Festsaal um, wo sich die Gäste während des Kostümballs amüsierten.
Immer noch keine Spur von der Frau, auf die er wartete.
Das Orchester spielte Mozart, aber ihm ging immer nur dieser Spruch durch den Kopf: Heiß wie die Hölle, kalt wie das Grab.
Irgendjemand hatte irgendwann noch hinzugefügt: „Unersättlich wie der Tod.“
All das sollte auf die Frau zutreffen, die er immer noch nicht persönlich kannte.
Beschreibungen, die sich fast wie Adelstitel anhörten. Wie die Adelstitel, die er von Geburt an trug. Scheich Al Masud. Königliche Hoheit. Und jetzt sogar: Ihre Hoheit, der Kronprinz.
Ihre Attribute, so hieß es, hatte die Frau sich allerdings redlich verdient.
Und von Shehab wurde erwartet, dass er sie heiratete.
Und man erwartete es nicht nur von ihm, er würde es auch tun. Er musste es tun.
Alles in ihm zog sich zusammen. Er biss die Zähne zusammen.
Ya Ullah. Mittlerweile hätte er sich mit seiner Lage abfinden müssen. Immerhin war es inzwischen über einen Monat her, dass sein Schicksal besiegelt worden war, um Judars Thron zu sichern.
Manchmal hasste er Carmen geradezu, die Frau, die sein Bruder über alles liebte und der zuliebe Faruq seinen Anspruch auf den Thron aufgegeben hatte. Nun lag die Last auf seinen, Shehabs, Schultern.
Eigentlich hatte er das immer als das Schlimmste empfunden: eine arrangierte Ehe, eine Zwangsheirat aus Gründen der Staatsräson. Trotzdem hätte er sich noch damit abfinden können, wenn die ihm zugedachte Braut wenigstens akzeptabel erschienen wäre.
Aber Farah Beaumont, die uneheliche Tochter von König Atef Al Shalaan, war alles andere als das. Nicht weil sie unehelich geboren war. Und auch nicht, weil sie sich geweigert hatte, ihr Erbe anzuerkennen und den Frieden zu bewahren. Für Ersteres konnte sie nichts, und über das Zweite hätte sie ihre Meinung ja noch ändern können. Vielleicht war ihr Nein nur eine Kurzschlussreaktion gewesen, weil sie so überraschend ihre wahre Herkunft erfahren hatte und nicht sofort mit den damit verbundenen Verpflichtungen zurechtkam.
Nein, das waren nicht die Gründe, die Farah Beaumont inakzeptabel machten. Übrigens ein schlauer Schachzug ihrer Mutter, sie Farah zu nennen – ein arabischer Name, der aber auch im Westen in Mode war. Was Farah in Shehabs Augen so widerwärtig, so abstoßend machte, war etwas anderes: ihr Lebenswandel.
Sie war schon reich geboren worden; der französische Multimillionär, den ihre Mutter geheiratet hatte, hatte sie adoptiert. Doch nach seinem Tod war sein Vermögen verloren gegangen. Und seitdem hatte Farah alles getan, um wieder nach oben zu kommen. Sie erreichte ihr Ziel, indem sie die rechte Hand und Geliebte des mächtigen Geschäftsmannes Bill Hanson wurde – eines verheirateten Mannes, der fast alt genug war, um ihr Großvater zu sein.
Nach ihren Handlungen zu urteilen – und nach allem, was die Leute über sie sagten –, war Farah Beaumont eine kalte, männerverschlingende, verdorbene Person.
Aber das änderte nichts daran, dass man sie brauchte, um dem Land Judar und der gesamten Region den Frieden zu sichern. Doch sie hatte es abgelehnt, ihre Pflicht zu tun. Einfach so. Knallhart.
Nun musste er seine Pflicht tun. Und die bestand darin, sie umzustimmen.
Er erwiderte, so freundlich es eben ging, die Blicke eines Paares, das als Marie Antoinette und Louis XVI verkleidet war.
Er selbst war wie ein Tuareg-Krieger angezogen. Shehab hatte gehofft, in dieser Verkleidung möglichst unauffällig zu wirken, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Wenigstens konnte er unter dem Gesichtsschleier nicht erkannt werden, was ein Risiko dargestellt hätte. Deshalb war die Feier auch als Maskenball geplant worden.
Er atmete tief durch, um die innere Anspannung abzubauen. Sein Atem schlug ihm durch den Schleier entgegen, der sein Gesicht von der Nase abwärts bedeckte. Dann wandte er sich um, bevor ihm das Paar ein Gespräch aufzwingen konnte. Dabei stieß Shehab mit einer großen Frau zusammen, die als Irma la Douce verkleidet war, das Freudenmädchen aus dem berühmten Musical und dem gleichnamigen Hollywoodfilm. Die Unbekannte klimperte verführerisch mit den Wimpern, eine Anmache, die ihm nicht fremd war. Bevor sie ihre Charme-Attacke fortsetzen konnte, murmelte er ein paar Worte, mit denen er ihr klarmachte, dass er lieber allein sein wollte.
Als