: Alice Brauner
: »Also dann in Berlin ...« Artur und Maria Brauner - Eine Geschichte vom Überleben, von großem Kino und der Macht der Liebe
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104913445
: 1
: CHF 13.00
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Leben des legendären Filmproduzenten Artur »Atze« Brauner und seiner Frau Maria: Eine Geschichte vom Überleben im Krieg, von einer großen Liebe und dem Traum, Hollywood nach Berlin zu holen. Stettin 1945. Zurückgekehrt aus den Weiten Russlands und Usbekistans, wo seine Familie den Krieg und die Verfolgung durch die Nazis überlebt hat, schmiedet Artur Brauner Zukunftspläne. Auf dem Bahnhof begegnet er einer jungen Frau: Maria, die mit blond gefärbten Haaren und einer falschen Identität der Deportation aus dem Ghetto von Lemberg entgangen war - und in Hannover in einem Lagerkrankenhaus gearbeitet hatte. Jetzt ist sie auf dem Weg nach Warschau, in der Hoffnung, dort noch Überlebende ihrer Familie zu finden. Es sind nur wenige gemeinsame Stunden, die die beiden miteinander verbringen, inmitten einer Trümmerwüste, aus denen die wenigen unbeschädigten Häuser in gespenstischer Sinnlosigkeit herausragen, wie Artur später schreibt. Er verliebt sich in Maria, und ruft ihr zum Abschied zu: »Also dann in Berlin...« Sie sehen sich tatsächlich wieder und heiraten im November 1946, in einem Displaced Persons-Lager im schwäbischen Heidenheim. Schon im September hatte Artur eine Filmproduktions-Lizenz beantragt, beginnt, seine ersten Filme zu drehen und eröffnet nur drei Jahre später seine CCC-Filmstudios in Berlin-Spandau. Artur Brauner wird zu einem der größten Filmproduzenten Deutschlands, er holt Regisseure wie Fritz Lang und Robert Siodmak zurück nach Berlin, arbeitet mit den großen Stars seiner Zeit. Immer an seiner Seite: »Die beste Ehefrau der Welt«, Maria Brauner. Doch die Vergangenheit lässt ihn, den Sohn eines jüdischen Holzhändlers, nicht los. Der Holocaust wird zu einem Lebensthema, das er immer wieder aufgreift - von seinem ersten Film »Morituri«, bis zu »Die Spaziergängerin von Sanssouci«, dem letzten Film mit Romy Schneider. Jetzt erzählt seine Tochter Alice Brauner die Geschichte ihrer außergewöhnlichen Eltern und spannt den Bogen dabei von der Kindheit in Polen über die Wirren des Krieges und den Neuanfang ausgerechnet in Deutschland bis hin zur jüngeren Vergangenheit. Eine Geschichte über die Macht der Liebe, über großes Kino und darüber, wie Träume wahr werden - trotz allem. Berührend, voller Magie und Lebensfreude.

Alice Brauner, geboren 1966, ist Journalistin, Historikerin und Filmproduzentin. 1999 promovierte sie am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Sie war Mitarbeiterin in Steven Spielbergs Stiftung Survivors of the Shoah Visual History Foundation,  für die sie auch ihre Mutter interviewte. 2006 stieg sie in die CCC Filmkunst ihres Vaters ein, die sie seit 2019 leitet. Sie produzierte u. a. »Wunderkinder« und »CRESCENDO #makemusicnotwar«. Für ihre große Familienbiographie griff sie nicht nur auf die eigenen Erinnerungen zurück - eine wichtige Quelle ist auch das umfassende Tagebuch ihres Großvaters. Hinzu kommen etliche weitere private Dokumente, aber auch die einschlägigen Quellen über die Geschichte des Holocaust und den Nationalsozialismus. Sie lebt in Berlin und München. Alice Brauner spendet ihre sämtlichen Erlöse aus der Publikation an Yad Vashem - The World Holocaust Remembrance Center, Jerusalem, sowie an das  DFF Deutsche Filminstitut& Filmmuseum e.V., Frankfurt am Main, in dem sich das Artur-Brauner-Archiv befindet.

Prolog


Berlin, Restaurant »Iwuschka«, im Jahr1996: Es war einer jener Abende, wie wir sie schon unzählige Male im Kreis der Familie durchlebt hatten. Alle Familienmitglieder und ihre Ehe- oder Lebenspartner saßen zusammen, tranken, aßen, redeten, lachten und lauschten zu vorgerückter Stunde mehr oder weniger aufmerksam der tiefen und schon ein wenig angegriffenen Stimme von Iwuschka. Dieses »russische Vollblutweib« ist noch heute das Herz des damals gleichnamigen Restaurants und war die »Lieblings-Chanteuse« meines Vaters. Egal, wie voll der Laden sein mochte, wie illuster die Gäste, Iwuschka brachte alle zum Verstummen, wenn sie inbrünstig Lieder anstimmte, die von den Weiten der russischen Landschaft erzählten und von der Tiefe der russischen Seele. Irgendwann standen alle auf den Tischen und tanzten, der Raum war erfüllt von purer Lebensfreude.

Diese Abende bei Iwuschka hatten immer etwas Besonderes. Der Familienzusammenhalt, das Zugehörigkeitsgefühl, dieses Wissen um Sicherheit und Geborgenheit im Kreis der Menschen, mit denen man sein ganzes bisheriges Leben verbunden war, all das war hier an diesem Ort immer ganz stark zu spüren. Natürlich wurde auch bei uns gezankt, gestritten, lautstark diskutiert, bis die sprichwörtlichen Fetzen flogen – auch an solchen Abenden. Aber meist löste sich zu später Stunde, nach etwas Wein und Wodka, alles wieder in Wohlgefallen auf.

Und trotzdem schien dieser Abend anders als sonst. Nicht nur der Anlass war besonders, auch die Stimmung unterschied sich von anderen Feierlichkeiten, die wir hier schon gemeinsam begangen hatten. Es war der fünfzigste Hochzeitstag meiner Eltern. Ein feierliches und freudiges Ereignis, zumal meine Eltern eine sehr glückliche, nicht immer nur harmonische, aber trotz mancher Widrigkeiten und enormer Belastungen, vorbildliche Ehe führten. Für meine Mutter war das Leben an der Seite des schillernden »Atze« Brauner, wie die Berliner meinen Vater schnell nannten, sicher nicht immer leicht. Die vielen Premierenfeiern, die vielen Schauspielerinnen, die sich ihm manchmal regelrecht an den Hals schmissen, in der Hoffnung auf eine Rolle in einem seiner Filme. Mir hat sie schon früh mit auf den Weg gegeben, das Wichtigste beim Ausgehen sei, einen Haustürschlüssel und Geld für ein Taxi dabeizuhaben. Wenn es ihr an solchen Abenden im Fokus der Kameras und unter dem beständigen Klicken der Fotoapparate zu viel wurde, stand sie einfach auf und ging. Einen Vorwurf hat sie meinem Vater nie gemacht. Dazu flirtete sie selbst viel zu gern. Wenn ich mich an manchen Abenden über ein Verhalten aufregte, das ich als respektlos meiner Mutter gegenüber empfand, sagte sie nur: »Alicechen, hör auf, dich aufzuregen, das interessiert mich gar nicht. Dein Vater weiß genau, dass er ohne mich nicht lebensfähig ist. Denn während ich immer gebe, wollen andere nur nehmen.«

Nach außen mochte er der Mittelpunkt sein, innerhalb der Familie war sie diejenige, um die alles kreiste, die mit ihrem Charisma und ihrer Lebensfreude alle bezauberte, aber auch mit eiserner Disziplin und Härte vor allem gegen sich selbst den Laden zusammenhielt. Mein Vater wurde geschätzt und respektiert, meine Mutter von allen geliebt. Für meinen Vater war sie – frei nach Kishon – die »beste Ehefrau der Welt«, allerdings ohne jede Ironie. Sie war, wie er einmal sagte, seine »von G’tt bestimmte zweite Hälfte«. Jeden Freitag zu Schabbat brachte er ihr einen Strauß rosa Moosröschen mit, ihre Lieblingsblumen. Im ganzen Haus legte er Zettelchen aus, kleine Liebesbriefe für sein »Kotunjo«, sein »Kätzchen« (eine Brauner’sche Eigenkreation nach dem polnischen Wort »Kotek«). Dass sie schließlich auf »nur«71 gemeinsame Ehejahre zurückblicken konnten, kommentierte er gerne mit einem »leider«. Die Welt würde schließlich schon seit vielen Milliarden Jahren existieren. Das würden sie dann wohl doch nicht mehr schaffen. Sicher gab es Höhen und Tiefen, Meinungsverschiedenheiten, weil mein Vater sehr stur war, meine Mutter sich aber für viel logischer hielt. An der Liebe des anderen haben sie jedoch nie gezweifelt. Als ich meine Mutter einmal fragte, wie sie diesen langen gemeinsamen Weg gemeistert haben, sagte sie: »Wir können alles miteinander teilen und sind absolut ausgefüllt miteinander. Wir sind miteinander verwachsen. Und wir haben nie aufgehört, miteinander zu reden.«

Geredet wurde überhaupt viel in unserer Familie. Später, als meine Geschwister und ich schon längst ausgezogen waren, war das gemeinsame Mittagessen am Sonntag ein fester Termin. Manchmal erzählte mein Vater von einem Drehbuch, von seinen Versuchen, einen Schauspieler für eine Rolle zu gewinnen oder einen Regisseur zu verpflichten. Unvergessen die Geschichte, wie er an die zwanzig Mal mit seinem klapprigen Auto im tiefsten Winter von Berlin nach München schlitterte, um Maria Schell für den Film »Die Ratten« zu gewinnen. »Stellt euch vor, ich habe mich sogar vor ihr auf die Knie geworfen, aber sie wollte mir einfach nicht glauben, dass diese Rolle eine Traumrolle ist! Sie blieb verschlossen wie eine Auster«, erzählte er mit einem verschmitzten Grinsen. Maria Schell, damals der Inbegriff des strahlenden und seelenvollen Mädchens, und dann diese »hässliche, ungeschlachte Person mit einem unehelichen Kind«, auch wenn das Weltliteratur von Gerhart Hauptmann war, das ginge, so fürchtete sie, für das Publikum nicht zusammen. Es wurde ein rauschender Erfolg für »die Schell«, das »Rehlein« wurde für ihre Leistung an der Seite von Curd Jürgens von der Kritik und dem Publikum gefeiert.

Die meisten Gespräche am sonntäglichen Mittagstisch drehten sich aber um Politik und gesellschaftliche Themen und begannen oft mit dem Satz: »Weißt Du noch? Heute vor genau fünfzig Jahren war&