Hell loderten die von den Brandpfeilen der Indianer getroffenen Holzhütten außerhalb des Forts auf. Dominik von Wellentin-Schoenecker, in der kleidsamen dunkelblauen Offiziersuniform der Nordamerikanischen Kavallerie, schwang sich auf sein Pferd und gab mit erhobenem Säbel seinen Leuten das Zeichen zum Beginn der Attacke. Der Fähnrich sprengte mit wehender Standarte heran, und der Trompeter blies in erregendem Stakkato das Signal zum Angriff. Dominik erhob sich im Sattel und setzte sich in gestrecktem Galopp an die Spitze seines Zuges. Das Kriegsgeheul der Rothäute brach ab. Sie wendeten ihre Pferde und stoben in wilder Flucht davon.
Doch gerade in diesem Augenblick, als die Sache am spannendsten war, endete Dominiks Traum. Nick, wie der Junge allgemein genannt wurde, brauchte einige Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Dann wusste er, der aufregende Traum war nur das Ergebnis eines Western, den er am Abend zuvor im Fernsehen gesehen hatte. Er selbst war kein Offizier der Nordarmee, sondern ein fünfzehnjähriger Junge des zwanzigsten Jahrhunderts. Und nicht militärischer Lorbeer wartete dereinst auf ihn, sondern die Verantwortung für das Kinderheim Sophienlust. Denn seine Urgroßmutter, Sophie von Wellentin, hatte ihn zum Alleinerben eingesetzt, um damit begangenes Unrecht wiedergutzumachen. Doch bis zu seiner Volljährigkeit würde das »Haus der glücklichen Kinder«, wie man Sophienlust allgemein nannte, von seiner Mutter, Denise von Schoenecker, weiterhin in vorbildlicher Weise verwaltet werden.
Nick warf sich auf die andere Seite, um vielleicht doch wieder Anschluß an seinen Traum zu finden. Plötzlich aber wurde er hellwach. Die Töne des Trompetensignals aus seinem Halbschlaf hatten sich in das gellende Auf und Ab der Feuersirene verwandelt. Nick schoss bolzengerade in die Höhe. Ohne Zeit damit zu verschwenden, Hausschuhe und Bademantel anzuziehen, rannte er über den Korridor zum Zimmer seiner Eltern. Dort klopfte er an und rief: »Vati – es brennt!«
Alexander von Schoenecker öffnete, schon fix und fertig angekleidet, die Tür. »Ich hab’s gehört, mein Sohn.«
»Gott sei Dank, Vati«, entgegnete Nick erleichtert. »Ich dachte schon, ich müsste dich wecken. Wir müssen etwas tun!«
Über das männliche Gesicht Alexander von Schoeneckers huschte der Anflug eines Lächelns. Das war wieder einmal typisch für Nick. Was auch immer geschah, er war sofort bereits, etwas zu unternehmen.
Jetzt kam Denise aus dem angrenzenden Badezimmer. Sie trug einen langen Morgenrock aus schilfgrünem Samt und sah trotz der frühen Morgenstunde frisch und gepflegt aus. Niemand hätte ihr einen so großen Sohn zugetraut.
»Ich mache dir schnell einen Kaffee, Alexander. Hallo, Nick! Auch aufgewacht?«
»Na, hör mal, Mutti«, erwiderte Nick gekränkt. »Bei diesem Lärm kann doch niemand schlafen. Ausgenommen Henrik natürlich. Ich glaube, den könnte man mitsamt seinem Bett forttragen, und er würde es nicht merken.«
Henrik war Nicks jüngerer Bruder und stammte aus der Ehe von Denise und Alexander. Beide waren verwitwet gewesen, als sie geheiratet hatten. Denise hatte Nick in die zweite Ehe mitgebracht, Alexander dagegen seinen Sohn Sascha, der bereits studierte, sowie Andrea, die den Tierarzt Hans-Joachim von Lehn geheiratet hatte. Alle zusammen bildeten seit langem eine glückliche Familie.
Alexander schlüpfte in die lange Lodenjacke. »Vielen Dank, mein Schatz«, sagte er zu Denise, »ich will mich nicht länger aufhalten. Es scheint ein ziemlich großer Brand zu sein. Da wird jede Hand gebraucht.«
»Och, Vati, ich darf doch mit?«, drängte Nick.
Alexander zögerte nur einen Augenblick, dann nickte er. »Aber zieh dich schnell an, Nick. Ich möchte nicht warten. Inzwischen werde ich sehen, wie viele unserer Leute ich zusammentrommeln kann.«
»Geht in Ordnung, Vati!«
Denise folgte ihrem Mann über die Treppe hinunter in die Halle.
»Ist es wirklich richtig, dass Nick dich begleitet?«, fragte sie leise.
Alexander strich ihr lächelnd über das dunkle Haar. »Mach dir keine Sorgen, Denise. Nick ist kein Kind mehr. Außerdem passe ich auf ihn auf.« Er legte den Arm um sie und küsste sie auf die Stirn. »Zufrieden?«
Denise war im Grunde ihres Herzens ein tapferer Mensch, was sie schon in vielen Lebenslagen bewiesen hatte. Vor ungezügeltem Feuer aber fürchtete sie sich. Sie schmiegte sich an ihren Mann, und etwas von seiner Zuversicht strömte dabei auf sie über.
»Vermutlich wäre Nick auch nicht zu bremsen«, meinte sie und strich sich eine Locke aus der Stirn.
»Stimmt.« Alexander deutete nach oben, wo gerade eine Tür unsanft ins Schloss fiel. »Unser Sohn ist im Kommen!«
Er verabschiedete sich von Denise, die versprach, einen kräftigen Imbiss für die Leute bereitzustellen. »Ihr werdet ihn nötig haben«, fügte sie hinzu.
Vom Gutshof drangen jetzt lebhafte Geräusche herüber. Die Tore der Remise knarrten, Stimmen wurden laut, und man hörte das Anspringen von Motoren.
Alexander von Schoenecker brauchte nichts zu sagen. Jeder seiner Leute hatte einen ebenso hohen Begriff von Nachbarschaftshilfe wie er selbst.
»Gebt auf euch acht, ihr zwei«, sagte Denise noch. Dann gi