1. Eine Zeitreise
Wir befinden uns im Jahr27 nach Christus. Ganz Galiläa ist von den Römern besetzt. Ganz Galiläa? Nein! In einem kleinen Dorf, weitab in der Provinz, nimmt eine neue Form von Freiheit ihren Anfang. Und zwar ohne Zaubertrank und Waffengewalt. Ganz im Gegenteil: Unscheinbar und leise beginnt ein neues Zeitalter der Hoffnung.
Auf der großen Weltbühne hingegen inszeniert sich das Römische Reich in pompösen Triumphzügen und herrscht mit eiserner Faust über Nordafrika, den Nahen Osten und einen großen Teil Europas. In Rom dienen goldglänzende Tempel und Paläste als Regierungssitz von Menschen und Göttern. Die wohlhabende Oberschicht schwelgt in einem unglaublichen Luxus, während viele Bevölkerungsgruppen brutal ausgepresst werden. Legionen von Söldnern und Steuereintreibern halten die Unterworfenen in Schach und Schuldknechtschaft. Wer aufbegehrt, wird gnadenlos ausgelöscht. Der Ruhm des gewaltigen Roms ist auf einem Höhepunkt angekommen.
Weitab vom Zentrum der Macht jedoch beginnt ein anderes Reich. In einem armseligen Dorf namens Nazaret wächst ein Mann auf, der sich nicht in die herrschenden gesellschaftlichen und religiösen Zwänge einfügt. Während sich viele Zeitgenossen in eine Weltuntergangsstimmung flüchten, widersteht Jesus der Versuchung zu resignieren. Er tritt auch nicht als politischer Rebell gegen das herrschende System auf, sondern geht ganz selbstverständlich seinen eigenen Weg. Er setzt auf Nächstenliebe und Barmherzigkeit, auf Gerechtigkeit und Hoffnung. Und er ist davon überzeugt, dass überall dort eine neue Welt anfängt, wo Menschen auf diese Alternative bauen. Dort beginnt das Reich Gottes.
Briefwechsel aus Nazaret
Nazaret, im Jahr27 nach meiner Geburt
Liebe Tante Elisabet,
schon länger habe ich nichts mehr von mir hören lassen. Die tägliche Arbeit nimmt mich sehr in Anspruch. Seit Monaten verdinge ich mich mit meinem Vater auf den Baustellen von Sephoris, das nur wenige Meilen von Nazaret entfernt liegt. Ich habe zwar auch gelernt, Steine zu behauen und Mauern hochzuziehen, aber hier arbeiten wir vor allem als Zimmerleute.
Stell dir vor: Die von den Römern niedergebrannte Stadt wird wieder aufgebaut, herrlicher noch als vorher. Ich kann mich nicht an den Krieg erinnern, weil ich noch zu klein war, als der berüchtigte Varus mit seinen Truppen Sephoris in Schutt und Asche legte. Abba erzählt oft davon, wie er damals auf den Hügel gelaufen ist, an dessen Fuß unsere Hütten erbaut sind. Dort habe er in der Ferne ein riesiges Flammenmeer gesehen, aus dem Rauchwolken aufstiegen und den Himmel schwarz färbten.
Nazaret hatte damals Glück, weil es so arm und unbedeutend ist. Denn die römischen Legionäre machten nicht nur Sephoris platt, sondern auch alle größeren Dörfer in der Umgebung. Meine Mutter hat dir sicher davon erzählt: Marodierende Söldner zogen durchs Land. Sie plünderten die Häuser, vergewaltigten die Frauen und verschleppten viele junge Frauen und Männer in die Sklaverei. Unser Dorf hingegen haben sie verschont. Man sieht ja schon von Weitem, dass bei uns nichts zu holen ist. So sind sie lieber Richtung Magdala weitergezogen, weil die Dörfer am See Genezareth eine fette Beute versprachen.
Jetzt haben die Römer unser Land fest im Griff und lassen