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Gehörst du zu diesen besonders feinsinnigen Menschen?
Ich bin eine Seele, keine Rolle.
Ich lag aufmeiner Matte und atmete die Mischung aus Weihrauch und Neroliöl ein. Langsam öffnete ich die Augen, nur einen Spalt, und spähte verstohlen herum. Der Schamane umkreiste die rund vierzig Teilnehmenden der Zeremonie und sang dabei in seiner Muttersprache Mantras, die hoch hinauf zum Dach unserer Hütte aufstiegen. Einige Zeit war er damit beschäftigt, mit einem Bündel aus weißem Räuchersalbei über dem Kopf jedes Anwesenden einen Kreis in die Luft zu zeichnen. Ein Helfer versprühte eine Flüssigkeit, die genauso roch wie die Öle, die ich zu Hause zur Aromatherapie verwendete. Ein anderer malte mit einem Stock, der aussah wie die Geweihstange eines Hirschs, Zeichen in den dichten Rauch. Das Ritual sollte, so hatte man uns gesagt, uns von unerwünschten Energien befreien, die wir unbewusst mit uns herumtrugen – Energien aus unserem Leben in den Städten, die uns irgendwann in Erschöpfung, Stress und Depression enden lassen würden.
Ich schloss die Augen wieder und nach ein paar Minuten hörte ich, wie der Schamane sich mir näherte, gefolgt von seinen tanzenden, trommelnden und in einem fort räuchernden Helfern. Ich spürte, wie er auf mich hinunterblickte. Der Rauchgeruch wurde fast unerträglich stark, als ich eine kräftige, tiefe Stimme hörte, die mir ins Ohr flüsterte: »Steh auf und komm mit mir.«
Der Schamane war ganz in Weiß gekleidet und trug einen Kopfschmuck aus weißen Federn. Links und rechts von ihm standen seine Helfer. Noch einmal forderte er mich auf, mich zu erheben und mit ihm zu kommen. Ich schaute mich im Kreis um. Die anderen lagen immer noch in tiefer Trance auf ihren Matten.
Seine Helfer hielten den Rhythmus der Trommel und chanteten leise, um die anderen in ihrer Trance zu unterstützen. Ich folgte dem Schamanen zur Stirnseite des Raumes, wo es, abgesehen vom Licht einiger Kerzen, völlig dunkel war. Ich wusste zwar, dass diese Zeremonie die ganze Nacht dauern sollte, hatte aber keine Ahnung, wie spät es mittlerweile war. Zwei Uhr morgens? Drei Uhr? Und warum hatte der Schamane mich als Einzige aufgeweckt, hier in dieser weiträumigen Hütte im costa-ricanischen Dschungel? (Eigentlich hatte ich hier nur Urlaub machen wollen, stattdessen nahm ich, angestachelt von zwei Freunden und meiner eigenen Neugier, an einer mir völlig neuen Zeremonie teil.)
Der Schamane setzte sich in einen großen Sessel aus Weidengeflecht, dessen Rückenlehne sich über ihm wölbte wie ein Pfauenrad. Er bedeutete mir, vor ihm auf dem Boden Platz zu nehmen. Ich war gespannt und irgendwie auch aufgeregt.Was würde er mir wohl sagen?
»Ich habe den Eindruck, dass du eine besondere Form der Heilung brauchst«, sagte er. »Und die würde ich dir sehr gern geben.«
Wieso ich?
»Du bist anders«, antwortete er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Du hast eine besondere Aufgabe hier, und ich spüre, dass du dabei ein wenig Unterstützung brauchst.«
Er bat mich, die Augen zu schließen. Dann legte er mir die Hände auf den Kopf und fing wieder an zu chanten. Er lud mich ein, mich hinzulegen. Dann besprenkelte er meinen Körper mit der schon bekannten Mischung aus Weihrauch und Neroliöl. Das Ritual dauerte gut zwanzig Minuten. Am Ende meinte er, ich könne mich wieder aufsetzen. Ich fühlte mich ein wenig benommen und aus dem Gleichgewicht.
»Du hast eine besondere Aufgabe«, wiederholte er schließlich. »Aber du kannst sie nicht nach besten Kräften erfüllen. Du hast eine Menge Energie aufgenommen, die nicht zu dir geh