: Stefan Heym
: Flammender Frieden Roman
: C. Bertelsmann
: 9783641277550
: Stefan-Heym-Werkausgabe, Romane
: 1
: CHF 17.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die große Entdeckung: Stefan Heyms auf Deutsch bisher unveröffentlichter Roman!
Algerien, Winter 1942: Die Welt steht in Flammen. Die Fronten der deutschen Wehrmacht bröckeln. Drei Nationen streiten um jeden Quadratmeter des nordafrikanischen Sandbodens: Die Amerikaner mit einem naiven Glauben an das Gute im Menschen, die deutsche Wehrmacht, ein verkommener Haufen, an dessen Spitze zynische Männer ihre Eigeninteressen verfolgen. Und die Franzosen, die dem Vichy-Regime nahestehen und als Kolonialherren um ihre Zukunft bangen. Heym inszeniert deren Zusammentreffen als packendes Duell zwischen dem amerikanischen Geheimdienstoffizier Bert Wolff und Ludwig von Liszt, einem deutschen Stabsoffizier, der Wolff einst grausam gefoltert hat.

Ein mitreißender Kriegsroman, der große moralische und philosophische Fragen stellt: Wie weit darf man mit Faschisten Kompromisse schließen, wenn man Demokratie will? Wie viel Entscheidungsfähigkeit hat der Mensch? Ist es am Ende der Zufall, der alles lenkt, das Schicksal? Oder gibt es, wie manche der einfachen Soldaten glauben, einen Gott?

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. 'Flammender Frieden' ist sein zweiter Roman, den er wie die meisten seiner Werke auf Englisch verfasste. Er entstand, als Stefan Heym als Soldat der US-Army an der Landung der Alliierten in der Normandie teilnahm. In den 50er Jahren kehrte er in der McCarthy-Ära nach Europa zurück und fand Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten, in der DDR. Als Romancier, streitbarer Publizist und stets kritischer Geist wurde er eine international bekannte Symbolfigur des aufrechten Gangs und gilt als einer der erfolgreichsten, vielfach ausgezeichneten Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001 in Israel.

KAPITEL EINS


Um 04.31 Uhr morgens eröffneten die Franzosen das Feuer aus ihren Stellungen hinterm Strand und entlang der Straße, die parallel zur algerischen Küste verlief.

Im selben Moment knirschte das Landungsboot mit Sergeant Shadwow McManus und einigen seiner Männer auf den Sand. Die Bugrampe klappte nach unten und wurde zur kurzen Gangway, die in die flache Brandung führte.

Für Shadow, der hinter der Rampe gekniet hatte, war es, als zöge ihm jemand die warme Decke vom Bett. Er fühlte sich nackt, und er fror. Zwischen ihm und dem orangeroten Feuer dermitrailleuses war nun nichts mehr – nur noch ein paar Hundert Meter flacher Strand.

Sein Traum aber ging weiter. Es gab zwei Soldaten namens Shadow – einer, der sich genauso verhielt, wie er es bei zahllosen Übungen für eben diese Operation gelernt hatte, der katzengleich voransprang, mit feuchten Händen die Maschinenpistole überm Kopf hielt, der an Land watete, die Beine hochriss, um den Wasserwiderstand zu überwinden und der, kaum an Land, im Zickzack weiterrannte und seinen Männern signalisierte, ihm zu folgen, um sich schließlich schnaufend in den Sand zu werfen. Der zweite Shadow beobachtete den ersten und sagte immer wieder: Das ist alles nicht wahr. Nichts davon. Kann es gar nicht sein. Da läuft ein Film oder so. Niemand wäre verrückt genug, auf dich zu zielen und zu schießen, niemand so dumm, Hals über Kopf in dieses Sperrfeuer zu laufen.

Das gespenstische Licht der Morgendämmerung, entflammt von den Blitzen der Schiffsbatterien und den Erwiderungen der Küstengeschütze, verstärkte beim zusehenden Shadow das Gefühl des Unwirklichen. Wie grandios, dachte er. Für wen wird dieses Spektakel aufgeführt?

Dann bemerkte er, dass der agierende Shadow Angst hatte. Zumindest sah es so aus, denn er hatte den Kopf eingezogen und war von Kopf bis Fuß nur noch Bauch – Bauch im Hals, Bauch in den Beinen, ein allumfassender, von Krämpfen geschüttelter Bauch.

Wenige Schritte vor Shadow siebte ein Kugelregen über den Strand und ließ den Sand aufspritzen. Irgendwer schrie, dann endete der Schrei so abrupt, wie er begonnen hatte. Der wurde getroffen, sagte sich der zusehende Shadow, und bestimmt ist er jetzt tot. Mein Gott, Junge, diesmal hast du noch Glück gehabt.

Und damit endete das merkwürdige Gefühl des Sergeanten, zweigeteilt zu sein. Plötzlich rückte sich die Welt wieder zurecht. Er begriff, dass er nicht allein war. Er begriff, dass seine Männer um ihn herum waren und dass sie, wenn er nicht hochkam, ohne ihn aufspringen und vorwärtsstürmen mussten, und dass das sein Ende wäre.

Vorsichtig hob er den Kopf und sah überall am Strand Männer in den unterschiedlichsten Positionen – laufend, gehend, stehend, kniend; manche lagen wie er am Boden, andere so hingestreckt, als wären sie von einem Laster überrollt worden; ein Offizier gestikulierte, nur verstand Shadow nicht, was er sagte. Sieht albern aus, dachte er. Er sah Männer mühsam Ausrüstung schleppen – Kanonen und Munitionskisten; einige Jeeps und leichte Panzer platschten durchs Wasser und begannen, sich ihren Weg durch diesen Wirrwarr zu bahnen.

Das Chaos weckte seinen Wunsch nach Ordnung und Organisation. Mit dem hier muss jetzt Schluss sein, die Männer sollen antreten. Wissen die denn nicht, was zu tun ist? Hatten sie das nicht endlos geübt?

Er sprang auf und gab ihnen mit Zeichen zu verstehen, dass sie eine Schützenlinie bilden sollten. Ah, sie bewegten sich! Gute Jungs – sie sahen sein Signal und folgten seinem Befehl –, irgendwas in ihnen hatte die Nagelprobe also doch bestanden. Schließlich unterschied sich dieser Strand auch nicht allzu sehr vom Strand in Virginia – der gleiche Sand, die gleichen Dünen, dieselben Prinzipien.

Ja – aber waren sie noch dieselben Männer? W