: Paula Carlin
: Sternflüstern Die Geschichte eines Neuanfangs
: Diederichs Verlag
: 9783641277666
: 1
: CHF 8.80
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: Lebensführung, Persönliche Entwicklung
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die heilende Kraft der Begegnung
'Vor allem nachts, im Mondlicht, über den Schneeflächen siehst du es', hatte Lunis gesagt. 'Es ist, als ob du mit deinem Atem auch selbst größer wirst, und ganz leicht. Dabei entsteht ein Knistern, und dann fällt er mit einem leisen Klirren zu Boden. Die Einheimischen nennen das Sternflüstern.'

Es ist ein wunderbarer Sommer. Die 56-jährige Künstlerin Irith hadert jedoch mit dem Verlust ihres Freundes Lunis. Sie versucht sich durch ihre Arbeit in einem Hotel abzulenken. Dann taucht plötzlich die junge Sophie bei ihr auf. Sie ist ebenfalls Künstlerin und verkauft ungewöhnliche Bilderrahmen. Die Frauen inspirieren sich gegenseitig und beschließen kurzerhand, gemeinsam an einem Wandmosaik zu arbeiten. Irith hat allerdings noch eine Aufgabe zu erfüllen: Lunis hat ihr ein verschlossenes Päckchen hinterlassen, um es einer Frau namens Alix zu geben. Aber wer ist diese Frau? Und welche Rolle hat sie in seinem Leben gespielt? Die Begegnung der drei Frauen, die durch Lunis schicksalhaft verbunden sind, wird zum Wendepunkt ihrer Leben.

In wundervollen Bildern erzählt die Autorin, wie es sich anfühlt, an einem Scheideweg im Leben zu stehen und wie ein klarer Blick nach innen, aber auch die Begegnung mit anderen Menschen helfen können, sich auf den richtigen Weg zu machen.

Paula Carlin ist das Pseudonym der deutschen Spiegel-Bestsellerautorin Patricia Koelle. Sie wurde 1964 in Alabama/USA geboren und lebt seit 1965 in Berlin. Ihre größte Leidenschaft gilt dem Schreiben, in dem sie ihr immerwährendes Staunen über das Leben, die Menschen und unseren sagenhaften Planeten zum Ausdruck bringt.

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»Du findest mich hier, in diesem Garten!«

Die ungewöhnliche Hitze dieses Sommers hatte die Busfahrt so unerträglich gemacht, dass ich auf dem Heimweg von der Arbeit mehrere Stationen früher ausgestiegen war. Auf meinem spontanen Spaziergang durch eine unbekannte Straße hatte ich ausnahmsweise nicht an Lunis gedacht, als ich seine Stimme hinter dem verfallenden Haus hörte.

Oder hatte er »dich« gesagt? Du findestdich hier in diesem Garten? Möglich war es. Ich hatte keinen Ort mehr, seit ich Lunis verloren hatte.

Das Schild »ZU VERKAUFEN« hatte ich kaum wahrgenommen. Ich weiß nicht, warum ich nicht weitergegangen war. Kaum etwas lag mir ferner, als ein Haus zu kaufen. Selbst wenn ich das gewollt hätte, wäre nicht daran zu denken gewesen.

Andere dachten wohl auch nicht daran, denn das behelfsmäßige Schild, eine Fahne nur aus weißem Stoff mit roten Buchstaben, war voller Taubendreck und Ruß, außerdem halb zerrissen. Der Name der Maklerfirma war gerade noch erkennbar. Mich ging es nichts an. Und doch blieb ich stehen, als hätte ich mich in diesem kurzen Moment gerade hier in die Erde gebohrt, ebenso wie über Jahre die Bäume, die auf dem Grundstück gediehen, wild und von keiner ordnenden Hand berührt. Zwei davon waren durch den Zaun nach draußen zum Licht hingewachsen und hatten dabei das alte Schmiedeeisen unbeirrt auseinandergebogen.

Die Stimme existierte natürlich nur in meiner Einbildung und war aus meiner Sehnsucht entstanden. Ein bedenkliches Echo meiner Trauer.

Doch ein Abendwind, sommersanft und voller Lindenblütenduft, wirbelte aus dem Garten herauf, und wieder hätte ich schwören können, dass er Lunis’ Stimme in sich trug. Seine Stimme und ein leises Lachen. Ich starrte auf die Stelle, wo der Ahorn die Stäbe im Zaun geöffnet hatte. Es wäre ein Leichtes, dort hindurchzuschlüpfen. Das Brennnesseldickicht fürchtete ich nicht, denn ich trug lange Hosen. Neben den Brennnesseln kroch eine gelb-schwarz gestreifte Raupe eine verwilderte Dillstaude hinauf. Sie hätte Lunis gefallen. »Daraus wird einmal ein Schwalbenschwanz«, hätte er bedeutungsschwer gesagt, als ob er der Einzige wäre, der so etwas wüsste. Und ich hätte so getan, als habe er mir etwas beigebracht. Oft genug war das der Fall, und es tat ihm gut, etwas geben zu können.

Er hatte mir so viele Fenster geöffnet, mit einem neuen Blick auf das Leben hinter jedem davon. Wie hätte ich da nicht nachsichtig sein können? Mit ihm – und mit mir. Zwischen uns war immer zugleich ein Fernbleiben wie auch ein leidenschaftliches Einssein auf so vielen Ebenen, wie sich Farben in den Gesteinsschichten eines Gebirges finden. Mit ihm war etwas aus meinem Leben verschwunden, was zum tragenden Fundament gehört hatte. Da erst musste ich mir eingestehen, wie unerschütterlich ich ihn geliebt hatte, mit all seinen Widersprüchen und Brüchen.

»Was machst du hier, Lunis?«, fragte ich über den Zaun. »Willst du mir zeigen, dass du dich amüsierst? Worüber? Über mich oder darüber, dass ich dir das zutraue?«

Die einzige Antwort war ein Eichhörnchen, das oben auf dem Zaun entlanglief, kurz stoppte, um mir einen fragenden Blick zuzuwerfen, und dann schimpfend im Ahorn verschwand.

Tage mit Lunis hatten stets einen goldenen Rand besessen, vielleicht weil wir in den ganzen Jahren nie einen Alltag teilten. Der Himmel zeigte diesen Rand jetzt gerade auch. Vielleicht spiegelte er meine Gedanken, oder hatte auch er Lunis’ Worte vernommen? Während ich da stand, wo mich etwas Unerklärliches festhielt, trieb mit der Kühle leichter Dunst in den von Abendsonne erfüllten Garten, der tiefer lag als die Straße. Dahinter erhob sich das Haus, das mich vage an eine br