Kapitel 2
Freitag, 3 Uhr
Ich hörte wieder meinen Namen, aus weiter Ferne schnitt der Ruf durch die Dunkelheit.
»Liv. Hey, Liv.« Er kam näher. »Olivia.« Die Szene wurde scharf, die Stimme weicher. Ich blinzelte zweimal, fixierte die Hecke vor mir, die tief hängenden Zweige, ein Verandalicht, das gespenstisch gelb durch die Blätter schien.
Und dann Ricks Gesicht, das Weiß seines T-Shirts, als er sich zur Seite drehte und durch die Büsche hindurchzwängte, die unsere Grundstücke trennten. »Okay«, sagte er und näherte sich mit ausgestreckten Händen, wie um mich nicht zu erschrecken. »Alles in Ordnung?«
»Was?« Ich konnte mich nicht orientieren. Der kühle Wind, die Dunkelheit, Rick, der in einem T-Shirt und grauer Jogginghose vor mir stand, die Haut um seine Augen faltig, schwielige Hände auf meinem Arm in Ellbogennähe – dann ließ er wieder los.
Ich trat einen Schritt zurück und zuckte zusammen, weil mich etwas in die rechte Fußsohle stach, der Schmerz schoss durch den Nebel. Ich war draußen. Draußen, mitten in der Nacht und –
Nein. Nicht das. Nicht noch einmal.
Meine Reflexe waren noch zu langsam, um in Panik zu geraten, aber ich verstand die Fakten: Ich war nach draußen ins Freie gelaufen, barfuß und mit trockenem, brennenden Hals. Ich machte eine kurze Bestandsaufnahme meiner selbst: ein scharfer Schmerz zwischen zwei meiner Zehen; der Saum meiner Schlafanzughose klamm wegen des feuchten Bodens; die Handflächen bedeckt von Splitt und Erde.
»Okay, ich hab dich.« Hände auf meinen Schultern drehten mich wieder in Richtung meines Hauses. Wie ein Tier, das man zurückgeleiten musste. »Schon in Ordnung. Mein Sohn, der ist auch manchmal geschlafwandelt. Draußen hab ich ihn allerdings nie gefunden.«
Ich versuchte mich auf seinen Mund zu konzentrieren, auf die Worte, die er sagte, aber etwas entglitt mir. Seine Stimme war immer noch zu weit weg, es war wie eine Szene aus einem Traum. Als wäre ich noch nicht ganz wieder zurück, von wo auch immer ich gewesen war.
»Nein, ich nicht«, sagte ich, und die Worte kratzten in meinem Hals. Ich fühlte mich plötzlich ausgetrocknet, war wahnsinnig durstig. »Das mach ich nicht mehr«, sagte ich und hob meine Füße, stieg die Verandastufen hoch, in meinen Gliedern kribbelte es, als würde nach zu langer Zeit das Gefühl zurückkehren.
»Mm«, sagte er.
Es stimmte, was ich ihm gesagt hatte. Die anhaltenden Albträume, ja, besonders um den Jahrestag herum, wenn wieder alles so nah an der Oberfläche zu sein schien. Wenn jedes Türklopfen, jeder unbekannte Anrufer mir Übelkeit verursachte. Aber das Schlafwandeln, nein, das hatte ich hinter mir gelassen. Seit meiner Kindheit. Als ich jünger war, hatte ich Medizin dagegen genommen und als ich damit aufhörte – eine vergessene Dosis, dann zwei, dann ein Rezept, das nicht mehr neu ausgestellt wurde –, war es auch schon vorbei gewesen. Es war etwas, das in der Vergangenheit passiert war. Eine Sache, die wie alles, was davor kam, in einem anderen Leben zurückgelassen worden war, bei einem anderen Mädchen.
»Nun ja«, sagte er, als er da neben mir auf der Veranda stand, »scheint aber doch so, meine Liebe.« Das Verandalicht warf lange Schatten durch den Garten.
Rick legte seine Hand an den Türknauf, aber er ließ sich nicht drehen. Er rüttelte noch einmal daran, seufzte dann. »Wie hast du das denn geschafft?« Er sah meine leeren Hände an, als hätte ich vielleicht einen Schlüssel in meiner Faust versteckt, dann kniff er die Augen zusammen und betrachtete den Dreck unter meinen Fingernägeln, sein Blick wanderte nach unten zu dem Blut an meinen Zehen.
Ich wollte ihm etwas erzählen – darüber, wozu mein Unterbewusstsein fähig war. Von Überleben und Instinkt. Aber plötzlich streifte uns eine kalte Windböe und verursachte uns Gänsehaut. Sommernächte in North Carolina, durch die Höhe war es hier oft frisch. Rick zitterte und blickte zur Seite, als könne er die Kälte nächstes Mal kommen sehen.
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