Einleitung
Wenn Sie dieses Buch lesen, dürfte Ihr Leben auf irgendeine Weise von einer zwanghaften körperbezogenen repetitiven Verhaltensweise (Body-Focused Repetitive Behavior,BFRB) betroffen sein. Bei den meisten Menschen hat sich noch gar nicht herumgesprochen, was das ist, aberSie wissen es. Sie haben es heimlich im stillen Kämmerlein am eigenen Leib erfahren. Sie haben vielleicht jahrelang damit gelebt und gedacht, Sie seien damit allein. Jetzt aber wissen Sie, dass Sie kein Einzelfall sind.
Wie jeder andere Mensch auch haben Sie Ihre Probleme, und etliche davon sind schmerzhaft und Sie leiden unter ihnen. Als jemand, der von einer Skin Picking Disorder oder Trichotillomanie betroffen ist, bekommen Sie diese gleich doppelt zu spüren: Nicht genug damit, dass Sie an dieser Störung leiden – andere schieben Ihnen auch noch selbst die Schuld daran in die Schuhe! »Wie können Sie sich so etwas antun?!« Solche Urteile werden nicht nur bei zwanghaften körperbezogenen repetitiven Verhaltensweisen gefällt (denken Sie zum Beispiel daran, was manche von Suchterkrankungen halten). Und dennoch sind solche Verurteilungen ein Aspekt vonBFRBs, der dazu führen kann, dass Beziehungen gestört werden, Karrierewünsche begraben werden müssen und das Selbstwertgefühl zunichte gemacht wird. Dabei kann die Hoffnung, ein Leben zu führen, das wirkliche Lebensqualität verspricht, in immer weitere Ferne rücken. Heimlichtuerei und Täuschung können zu den prägenden Grundzügen des Lebens werden und Offenheit und Nähe verdrängen. Außerdem ist da noch der stets präsente Begleiter Scham, der immer wieder an den Bemühungen nagt, den physischen und emotionalen Schaden wiedergutzumachen und den Stolz auf sich selbst wiederherzustellen.
Man kann dafür plädieren, sich mit einerBFRB als Dauerbegleitung zu arrangieren und ein Leben mit dieser Störung zu akzeptieren. Schließlich ist niemand von uns vollkommen. Stimmt es denn nicht, dass wir alle Stärken und Schwächen, Vor- und Nachteile und sowohl Qualitäten haben, die bewundernswert sind, als auch solche, die befremdlich sein können? Führen wir nicht alle ein Leben, in dem wir bemüht sind, unsere Bringschuld zu minimieren und Kapital aus unseren Stärken zu ziehen? Warum sich also nicht einfach damit abfinden, dass Sie eineBFRB haben und die Sache abhaken?
Wir werden diesem Argument nichts entgegensetzen. Schließlich wissen wir, dass Sie als Person einzigartig und so viel mehr als Ihre Probleme sind. Wir wissen, dass Sie dreidimensional sind, ein Mensch mit Qualitäten, Fähigkeiten und Talenten, der eben zufällig auch noch eine dieser körperbezogenen repetitiven Verhaltensweisen aufweist – und wir hoffen, das ist auch Ihnen klar. Da Sie aber dieses Buch lesen, glauben wir, dass es irgendeinen nicht ganz unwesentlichen Teil in Ihnen gibt, der noch Hoffnung auf ein Leben ohne IhreBFRB hat. Selbst ohne dieses Problem werden Sie natürlich immer wieder vor Herausforderungen stehen – das Leben kann sehr schwierig sein, selbst für Leute, die bei oberflächlicher Betrachtung sehr günstige Bedingungen vorzufinden scheinen. Wenn jedoch die Kraft, die es Ihnen raubt, mit IhrerBFRB zu leben, für andere Zwecke genutzt werden kann, lässt sich vielleicht ein Teil des Leidens in Energie umwandeln, die darauf ausgerichtet ist, ein gutes Leben zu führen.
Wir Autor*innen haben uns zusammengerechnet beruflich mehr als 75 Jahre lang mit Betroffenen und ihren Angehörigen sowie mit Therapeut*innen und Forscher*innen auf dem Gebiet körperbezogener repetitiver Verhaltensstörungen beschäftigt. Dieses Buch bietet uns die Möglichkeit, Sie an den Früchten unserer gesammelten Erfahrungen teilhaben zu lassen, in der Hoffnung, dass es Ihnen gute Dienste leisten wird. In ihm haben wir zusammengestellt, was wir in dieser Zeit gelernt haben, und daraus ein Selbsthilfeprogramm entwickelt, von dem wir glauben, dass es Ihnen die Kraft geben wird, körperbezogene repetitive Verhaltensweisen zu bekämpfen und zu besiegen.