: Ali Smith
: Sommer Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641223007
: 1
: CHF 17.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Geschichte über Menschen, denen große Veränderungen bevorstehen. Sie sind eine Familie und glauben doch, Fremde zu sein. Was verbindet diese Menschen? - Der Sommer. Da ist zum Beispiel Sacha, 16, die Probleme mit ihrem kleinen Bruder hat, einem hochbegabten, die Schule schwänzenden Einstein-Fan; und eigentlich will sie die Welt retten, aber ihre Eltern sind ihr da auch keine Hilfe. So weit die Gegenwart. In der Vergangenheit verbringen ein anderer Bruder und eine andere Schwester einen wunderschönen Sommer, obwohl sie wissen, dass die Zeit gegen sie arbeitet ...

Ali Smith wurde 1962 in Inverness in Schottland geboren und lebt in Cambridge. Sie hat mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. Ihr Roman »Beides sein« wurde 2014 ausgezeichnet mit dem Costa Novel Award, dem Saltire Society Literary Book of the Year Award, dem Goldsmiths Prize und 2015 mit dem Baileys Women's Prize for Fiction. Mit »Herbst« kam die Autorin 2017 zum vierten Mal auf die Shortlist des Man Booker Prize sowie auf Platz 6 der SWR-Bestenliste, für »Sommer« erhielt sie den George Orwell Prize. 2022 wurde Ali Smith mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet.

Ob ich die Heldin meines eigenen Lebens sein werde, sagt Sachas Mutter.

Dann sagt sie: Sacha, wasist das? Wo ist das her?

Sacha frühstückt im Wohnzimmer und liest dazu auf dem Handy. Der Fernseher läuft, die Lautstärke ein paar Stufen zu hoch eingestellt, und ihre Mutter schreit über den Lärm hinweg.

Weiß ich nicht, sagt Sacha.

Sie spricht mit normaler Lautstärke, kann gut sein, dass ihre Mutter sie überhaupt nicht gehört hat. Nicht dass es, so oder so, etwas ausmachen würde.

Heldin meines eigenen Lebens. Ihre Mutter geht im Zimmer hin und her und spricht es vor sich hin. Heldin meines eigenen Lebens, dann kommt irgendwas über eine Stelle, eine Stelle, die jemand einnehmen wird. Wo ist das her?

Als ob das wichtig wäre.

Sacha schüttelt den Kopf, aber nicht so heftig, dass ihr Kopfschütteln auffallen würde.

Ihre Mutter merkt nie was.

Ein Beispiel dafür ist, was gestern Abend wegen des Zitats los war, das Sacha im Netz für den Aufsatz über Vergebung gesucht hatte, den sie für heute für die Stunde bei Merchiston schreiben musste. Aus Anlass des Brexits vor genau einer Woche sollten sie alle einen Aufsatz zum Thema »Vergebung« schreiben. Vergebung ist Sacha äußerst verdächtig. Zu sagenich vergebe dir ist doch so, als sagte mandu stehst unter mir, und ich bin dir moralisch oder geistig überlegen.

Aber das ist die Art Mut zur Wahrheit, für die man bei Merchiston eine Zwei kriegt statt einer Eins, bei dem die ganze Klasse inzwischen geschnallt hat, wie man antworten muss, um die gewünschten Noten zu bekommen.

Darum hat sie gestern Abend, der Aufsatz muss ja heute abgegeben werden, im Netz nach ein paar Zitaten gesucht.

Wie eine Schriftstellerin aus dem vorigen Jahrhundert andächtig schrieb: »Vergebung ist der einzige Weg, den unumkehrbaren Lauf der Geschichte zu ändern.«

Ihre Mutter war in ihr Zimmer gekommen, wieder ohne anzuklopfen, stand da und las über Sachas Schulter hinweg den Bildschirm.

Oh, das ist gut, das Zitat, sagte ihre Mutter, das gefällt mir.

Mir gefällt’s auch, sagte Sacha.

Ist andächtig das richtige Wort?, sagte ihre Mutter. Es klingt eher philosophisch als andächtig. Ist das eine gläubige Schriftstellerin? Wer hat das geschrieben?

Ja, ist sie, sagte Sacha, obwohl sie keine Ahnung hatte, nicht wusste, von wem das stammte, und das Wort andächtig genommen hatte, weil es in dem Satz gut klang. Jetzt aber, wo ihre Mutter ihr auf den Hals atmete und wegen des Verfassers nachbohrte, rief sie Startpage auf und tippte die Wörter unumkehrbar, Lauf und Geschichte ein. Das ­Zitat erschien.

Der Name klingt europäisch, sagte sie.

Ah.