SOLL MAN MIT STERBENDEN ÜBER DEN TOD REDEN?
Auf diese Frage kann es nur eine persönliche Antwort geben. Mein Gesprächspartner Klaus Reichert und ich möchten mit Ihnen unsere Erinnerungen an die letzten Gespräche, das Sterben und den Tod unserer Väter teilen.
David, darf man schwerstkranken Menschen sagen, dass sie bald sterben werden?
Ja. Es ist hart, aber ich glaube, das ist auch ganz wichtig. Sich der Tatsache zu stellen, dass es nicht immer gut gehen wird, dass Menschen einfach sterben.
Vielleicht reden wir über unsere eigenen Erfahrungen. Mein Vater war zum Beispiel nicht bereit, sich in irgendeiner Form mit uns über dieses Thema zu unterhalten, bis er dann eines Tages tot in seinem Badezimmer lag. Er war schwerer Alkoholiker und ihm war anzusehen, dass das nicht mehr allzu lange gehen wird. Sein Zustand wurde immer schlechter. Wann auch immer wir auf das Thema zu sprechen kamen, wehrte er ab: Nein, ich habe nur eine Grippe, nur eine Erkältung. Er hatte dann Ausfallserscheinungen an den Füßen, konnte nicht mehr richtig laufen, mit den Händen konnte er nicht mehr richtig greifen. Er hat dieses Thema völlig verdrängt. Als er tot im Badezimmer lag und ich ihm ins Gesicht gesehen habe, hatte ich das Gefühl: Er war überrascht, dass er sterben musste.
Bei meinem Vater war es etwas anders. Er war ein kleiner Hypochonder wie ich und hat trotz all seiner Energie sehr genau gesehen, dass sich etwas verändert hat. Er ist zu den Ärzten gegangen, weil eine Erkältung nicht mehr aufhören wollte, und hat dadurch relativ früh erfahren, dass er Krebs hatte. Dann kam eine sehr bewusste Auseinandersetzung. Das gipfelte darin, dass er in der Sendung »Kölner Treff« bei Bettina Böttinger offen gesagt hat, dass er todkrank sei. Zu der Zeit wusste er von einem Freund mit der Diagnose Krebs, allerdings ein Krebs, der sich nicht so schnell entwickelte wie in seinem Fall. Wir waren damals in einer Phase, in der wir ohnehin viel miteinander gesprochen haben, weil es um Nachfolge ging. Das haben wir eigentlich zehn Jahre lang gemacht. Aber am liebsten sprach er darüber, was er noch alles tun möchte. Er hat uns immer damit gedroht, dass er bis 95 im Büro bleibt. Ab und zu hatte er dann Phasen, in denen er sagte: Jetzt ist auch mal genug, im nächsten Jahr werde ich ein Jahr lang reisen und so etwas. Das hat er dann doch nicht gemacht. Für uns war es die reinste Achterbahnfahrt, die geprägt war von Miteinander-Sprechen, aber auch einem gewissen Unglauben, ob das wirklich geschehen würde. Später kamen dann immer heftigere Behandlungen, die er vorher vielleicht abgelehnt hätte und die dann so schleichend auf ihn zukamen. Zum Beispiel eine Art Dialyse, die für seine Leber und Nieren gemacht wurde. Irgendwann ist es mir schon so gegangen, dass ich es einfach nicht mehr ausgehalten habe, wenn er über tausend triviale Sachen gesprochen hat und gar nicht absehbar war, was passieren wird und wie es mit ihm weitergeht. Für mich war klar: Das wird so nicht mehr weitergehen und es geht leider in eine klare Richtung. Nachdem ich dann mit einem der Ärzte geredet hatte, habe ich ihn darauf angesprochen, wie er das eigentlich sieht? Mir war klar: Wenn ich jetzt nicht mit ihm über dieses Thema spreche, kann ich das in zwei Monaten garantiert nicht mehr tun. Das war für mich sehr hart, weil ich diese fortschreitende Entwicklung miterlebt habe. Es wurde immer schwieriger, er wurde immer schwächer, die Behandlungen wurden immer weniger aussichtsreich. Dann kam dieser Punkt,