: Stefan Heym
: Auf Sand gebaut ? Filz Erzählungen - Stefan-Heym-Werkausgabe
: C. Bertelsmann
: 9783641278328
: Stefan-Heym-Werkausgabe, Erzählungen
: 1
: CHF 9.00
:
: Erzählende Literatur
: German
Geschichten über die deutsche Wiedervereinigung und ihre Folgen - brillant und boshaft.
'Auf Sand gebaut' war die erste literarische Reaktion auf die Ereignisse, die als 'deutsche Revolution', als 'Wende', und schließlich als 'Wiedervereinigung' in die Geschichte eingegangen sind. Jenseits aller nationalen Euphorie richtet Stefan Heym in seinen Geschichten einen illusionslosen Blick auf diese deutschen Zustände, auf die um sich greifende Korruption des Denken und Handelns, auf den Opportunismus und die Wendefreudigkeit ehemaliger Apparatschicks, auf die kritiklose Übernahme westlicher Werte.

Mit 'Filz. Gedanken über das neuste Deutschland' knüpft Heym thematisch an 'Auf Sand gebaut' an. Die Illusionen sind verflogen. Die paradoxe Situation, daß die Kluft zwischen den geeinten Teilen Deutschlands sich zu vergrößern scheint, die vielberufene nationale Identität sich nur schwer herstellen will, ist Ausgangspunkt der Betrachtungen von Stefan Heym.

Stefan Heyms messerscharfe Erzählungen über die deutsche Wiedervereinigung, erstmals erschienen bei C. Bertelsmann 1990/1992, endlich wieder lieferbar als Teil der digitalen Werkausgabe.

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In der McCarthy-Ära kehrte er nach Europa zurück und fand 1952 Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er vielfach ausgezeichnet und international bekannt. Er gilt als Symbolfigur des aufrechten Gangs und ist einer der maßgeblichen Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001 in Israel.

Der Zuverlässigsten einer


Wo sie nur alle wieder hin sind?

Vergangene Woche Freitag, jawohl, Freitag Nachmittag, da war auch schon mal diese plötzliche Stille. Sonst sind immer irgendwelche Geräusche, Schritte, oder es hustet einer draußen im Gang, aber wenn so überhaupt nichts ist, legt es sich wie ein Gewicht auf den Schädel und man kriegt so ein Flattern im Bauch, jedenfalls bin ich hinübergegangen zum Genossen Tolkening ins Zimmer, doch dort war auch keine Seele, nur auf dem Tisch lag ein Haufen Papiere, was sonst gar nicht die Art ist vom Genossen Tolkening, selbst wenn der auf fünf Minuten mal weggeht, schließt er alles ein, und beim Genossen Kallweit war auch keiner, so daß ich gedacht hab, was ist denn nur los, wenn es eine Sitzung wäre, der Genosse Kallweit hätte mich doch gerufen, aber in der letzten Zeit ist auch auf nichts mehr Verlaß und auf niemanden, zwar wird verlautbart, jawohl, Genossen, der Betrieb geht weiter, die Firma kriegt einen andern Namen, aber was sind Namen, die Hauptsache ist, wir bleiben auf Posten, und ich klopf an beim Genossen Stösselmaier, der früh als erster kommt und abends als letzter geht, aber sein Dienstzimmer ist auch leer, sie können doch nicht sämtlich beim Kaffeetrinken sein oder dienstlich unterwegs, und dann ist mir eingefallen, was der Genosse Kuhnt gesagt hat bei der Abteilungsbesprechung, der Genosse Alfred Kuhnt ist ja nicht irgendwer, der Genosse Kuhnt also hat mit dem Finger auf meine Person gewiesen, deutlich und unmißverständlich, und gesagt, der Genosse Bobrich ist der Zuverlässigsten einer, unser Arno, jawohl, und wenn es einmal hart auf hart kommen sollte, der Genosse Bobrich hält den Laden, und außerdem hat er auch so ein Wesen, das beruhigend wirkt auf die Menschen, dem wird also kaum einer was tun.

Ich hab das Martha erzählt, was der Genosse Kuhnt über mein Wesen gesagt hat, und Martha hat gesagt, das stimmt, der Genosse Kuhnt ist ein Menschenkenner, aber trotzdem macht man sich seine Gedanken, besonders wenn die Zeiten so unruhig sind wie jetzt und alles drunter- und drübergeht und sogar ein Mann wie der Chef, vor dem das ganze Volk gezittert hat, jawohl, richtiggehend gezittert, hat aufstehen müssen in aller Öffentlichkeit und sich rechtfertigen vor Leuten, die sonst gekrochen wären vor ihm, rechtfertigen für was, möchte ich wissen, der Mann hat seine Pflicht getan wie wir alle und sonst nichts, und dann haben sie ihn noch verhaftet. Und, hat der Genosse Kuhnt weiter zu uns gesagt, wenn es dahin kommen sollte, was er allerdings nicht erwarte, hat er gesagt, daß wir zeitweilig retirieren müßten, retirieren war sein Ausdruck, tatsächlich, dann können wir unsrem Genossen Bobrich vertrauen, daß er das Nötige tut, denn der Genosse Bobrich weiß ja, daß das, was bei uns in der Abteilung liegt, nicht in unberufene Hände gehört.

Das war vergangene Woche. Und jetzt ist wieder diese Stille. Trotzdem, so eilig hätten sie doch nicht zu retirieren brauchen, wenigstens einer hätte den Kopf noch zur Tür hineinstecken und sagen können, Arno, hätte er sagen können, es ist ja nur zeitweilig, aber nicht einmal das hat einer von ihnen gesagt, und dabei wird von mir erwartet, daß ich meine Pflicht tue und den Laden halte, denn was hier in der Abteilung steht, ist höchste Vertrauenssache, und wie ich Martha gesagt hab seinerzeit, daß sie mich hierher gestellt haben, mitten ins Nervenzentrum vom Ganzen, Nervenzentrum, das war mein Ausdruck, da hat sie gesagt, das laß lieber, warum mußt du dich ins Nervenzentrum stellen lassen, war denn das, was du bisher gemacht hast, nicht schwierig genug, Arno, ich hab nie gewußt, wie du das schon in eins bringst mit deiner unsterblichen Seele, aber das jetzt, mitten im Nervenzentrum vom Ganzen, es wird dir kein Glück bringen, Arno. Und wie ich dem Genossen Tolkening erzählt hab, was die Martha gesagt hat zu meiner neuen Stellung mitten im Nervenzentrum, was doch eine große Anerkennung darstellt seitens der Genossen, hat er gelacht und gesagt, mach dir nichts draus, Arno, was wissen die Frauen von Pflicht und von den Notwendigkeiten des Dienstes. Aber was der Junge gesagt hat, wie er dann nach