: Stefan Heym
: Der Fall Glasenapp Stefan-Heym-Werkausgabe
: C. Bertelsmann
: 9783641278298
: Stefan-Heym-Werkausgabe, Romane
: 1
: CHF 13.40
:
: Erzählende Literatur
: German
Heyms erster Roman: ein Welterfolg und von Hollywood verfilmt
Prag 1939. Ein deutscher Offizier wird tot aus der Moldau geborgen. Gestapo-Chef Reinhardt nimmt willkürlich tschechische Bürger als Geiseln und droht sie zu erschießen, wenn der Täter sich nicht findet. In seinem ersten, 1942 geschriebenen Roman verdichtet Stefan Heym ein Stück düsterer Zeitgeschichte zu zeitloser Aktualität.

Stefan Heyms erster Roman, beim Paul List Verlag Leipzig 1958 erstmals auf Deutsch erschienen, endlich wieder lieferbar als Teil der digitalen Werkausgabe.

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In der McCarthy-Ära kehrte er nach Europa zurück und fand 1952 Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er vielfach ausgezeichnet und international bekannt. Er gilt als Symbolfigur des aufrechten Gangs und ist einer der maßgeblichen Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts.

Erstes Kapitel


»Janoschik! Janoschi-i-i-i-k!«

Die schrille Altmännerstimme des Barkeepers hallte durch den engen Gang, der von der Bar ein Dutzend Stufen hinab zur Toilette führte.

Janoschik öffnete langsam die Tür und brummte zurück: »Was ist denn schon wieder los?«

Der Barkeeper holte Atem. Jetzt würde er diesem Janoschik endlich mal die Meinung sagen. »Immer treibst du dich oben herum, wenn ich dich nicht brauche. Aber wenn ich dich brauche, kann ich mir den Hals heiser schreien. Los, mach mal ’n bißchen rasch! Und bring Eimer und Besen mit!«

Janoschik knurrte etwas und warf die Tür zu.

Ihm gefiel die Ruhe hier unten. Jedesmal, wenn ein Gast die Tür aufmachte und an ihm vorbei in die Toilette ging, fühlte Janoschik sich gestört durch den Schwall von Lärm, den der Gast von oben mitbrachte – Stimmen und Melodienfetzen aus dem Grammophon.

Ihm gefiel die Ruhe hier. Er brauchte Ruhe und Zeit, denn er war ein ordentlicher und etwas langsam denkender Mann, der seine oder eines anderen Eindrücke und Ideen vornahm und sie umwandte und drehte und von allen Seiten betrachtete, bevor er sie in genau bestimmten Fächern seines Gehirns verstaute. Hatte er aber einmal etwas dort verstaut, so war er in der Lage, es zu jeder Zeit herauszuholen und es geschickt und systematisch in der Praxis anzuwenden.

Janoschik beeilte sich nicht. Er beeilte sich nie. Von all den Menschen, die ihn kannten, konnte keiner sich erinnern, ihn je in Eile gesehen zu haben. Sogar unten in der Grube in Kladno, als der Schacht einsackte und die Kumpel verzweifelt aufschrien oder wie Mäuse in der Falle herumliefen, beeilte er sich nicht. Er suchte sein Werkzeug zusammen, weil er glaubte, es vielleicht noch brauchen zu können. Er stellte das Licht in der Lampe so ein, daß die Batterie möglichst geschont wurde. Dann wartete er, bis die Männer um ihn die Lage begriffen hatten und aufhörten mit dem Lärm. Und in dem schrecklichen Schweigen, das auf die Katastrophe folgte, trat er vor, bereit, die Führung zu übernehmen.

Janoschik beeilte sich nicht. Er hörte, wie der Barkeeper schon wieder nach ihm rief.

Er holte Besen, Eimer und Scheuerhader aus dem Abstellraum, dann füllte er den Eimer mit Wasser aus der Leitung über dem Ausguß und begab sich nach oben, langsam, mit schwerem, gemessenem Schritt.

Es war gut, daß seine Füße gewohnt waren, fest auf dem Boden zu stehen, denn die Treppe heruntergetorkelt kam ein Mann in deutscher Offiziersuniform. Der Offizier, verglasten Auges und käsig blaß, angelte nach Halt. Seine Hand fand Janoschiks breite Schulter.

»Immer schön langsam, mein Bester!« sagte Janoschik. »Halten Sie sich nur geradeaus – Sie können gar nicht dran vorbeigehen.«

Aber der Betrunkene rutschte an Janoschiks Leib entlang nach unten, bis er auf der Treppe saß. Dann begrub er sein Gesicht in den Händen und fing an z