1.
Greensville, Virginia
Keine Nacht sollte so kalt sein, kein Winter so weiß, kein Tod so grauenhaft.
Es schneite, als ich auf den überfüllten Parkplatz vor dem Staatsgefängnis in Greensville fuhr. Als ich ausstieg und die eisige Januarluft atmete, brannten meine Lungen. Ich schloss meinen acht Jahre alten Bronco ab und stapfte zum Eingang.
Windgepeitschter Schnee fegte über die wartenden Teams der TV-Nachrichtensender, ihre Übertragungswagen und ihre von Eiskristallen bedeckten Satellitenschüsseln hinweg. Der frostharte Schnee knirschte unter meinen Schritten. Der Wollmantel und der Schal, die ich trug, vermochten mich kaum vor der eisigen Kälte zu schützen; ebenso wenig wie meine wadenlangen Winterstiefel. Mein Mantel war hellbeige, obwohl Schwarz passender gewesen wäre. Schwarz wie der Tod. Denn ich war hier, um einer Hinrichtung beizuwohnen. Doch ich betrauerte nicht das bevorstehende Ende eines menschlichen Lebens – ich freute mich auf diesen Tod.
Gleich würde ein Killer durch die Todesspritze sterben, und ich genoss den Gedanken an die Hinrichtung. Aber hier ging es nicht um einen gewöhnlichen Killer, sondern um ein Ungeheuer.
Ein Fernsehreporter sah mich und rief: »Miss Moran, würden Sie den Zuschauern von Channel Five …«
Ich hörte gar nicht hin. Zeitungsreporter winkten, um meine Aufmerksamkeit zu erhaschen, doch auch sie beachtete ich nicht und ging zum hell erleuchteten Eingang. Mehrere Gefängniswärter standen neben der Tür. Sie trugen Schals und Uniformmäntel. Ihr Atem wogte wie Rauch in der eisigen Luft. Einer öffnete mir die Tür und führte mich in die warme Eingangshalle des Gefängnisses. Dort standen mehrere Reihen Plastikstühle für Besucher; in einer Ecke erblickte ich einen mit Süßigkeiten und alkoholfreien Getränken bestückten Automaten. Am Ende der Halle sah ich einen Informationsschalter mit einer elektronischen Sicherungsschleuse, die zum Gefängniseingang führte. Hinter dem Schalter saß ein Wärter. Ich ging zu ihm und zeigte ihm meinen Ausweis sowie meinen Brief, der von Gefängnisdirektor Lucius Clay persönlich unterschrieben war. Ich hatte Clay angerufen und um die Erlaubnis gebeten, heute Abend als Zeugin zugelassen zu werden.
Liebe Miss Moran, hiermit wird Ihnen die Erlaubnis erteilt, der Hinrichtung von Constantine Gemal am Freitag, dem 13. Januar, um 21.00 Uhr beizuwohnen.
Der Brief enthielt keinerlei Zusatz, der hätte lauten können:Während Sie zuschauen, wie dieser Hurensohn brüllend zur Hölle fährt, reichen wir Ihnen Erfrischungsgetränke und einen kleinen Snack. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen! Das wäre natürlich ein bisschen viel verlangt gewesen, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass einigen der bei dieser Hinrichtung anwesenden Zeugen ein boshafter Scherz auf Kosten Gemals sehr gefallen hätte.
Der Wärter überprüfte meine Dokumente und musterte mich dann eingehend, als würde er sich nicht einmal auf meinen FBI-Ausweis oder auf die Einladung des Gefängnisdirektors verlassen. »Special Agent Katherine Moran?«
Im ersten Moment war ich versucht, den Mann zu verbessern und ihm zu sagen, dass ich als Kate Moran hier war, als Privatperson, nicht als FBI-Agentin, doch ich unterließ es. »Ja.«
»Die anderen Zeugen wurden bereits in Gefängnisbussen zur Exekutionskammer im Trakt L gefahren, Agent Moran.«
»Ich bin vor Richmond in dichten Verkehr geraten.«
»Verstehe. Heute Abend haben sich wegen des Schnees fast alle verspätet. Ist aber kein Problem. Sie werden in einem anderen Bus zu Trakt L gefahren. Ich rufe nur schnell den Direktor an und sage ihm, dass Sie hier sind.«
Der Wärter reichte mir meine Dokumente zurück und führte ein kurzes Telefonat. »Es ist alles geregelt«, sagte er dann. »Der D