1. KAPITEL
Kyla sah die Angreifer als Erste.
Sie lag bäuchlings im hinteren Teil des Pferdewagens, noch im Halbschlaf, aus dem sie unruhig erwachte, als ihr ein Blatt auf die Stirn fiel. Mürrisch zog sie eine Hand unter den Fellen hervor, mit denen sie zugedeckt war, und wischte es fort. Dann versuchte sie, wieder in die Tiefen des heilenden Schlafes hinabzugleiten, doch ihre Schmerzen ließen dies nicht zu.
Sie blinzelte und zwang sich, die Augen zu öffnen. Die Felle, auf denen sie lag, rückten verschwommen in ihr Blickfeld. Sie veränderte etwas ihre Lage, um den wieder heraufziehenden, brennenden Schmerz in ihrem Rücken zu lindern. Fürchterlich, wie dieser Tag schon beginnt, dachte sie verzagt und sehnte sich sogleich nach Morags Salbe. Dieses Wundermittel roch zwar so ekelhaft wie eine Kloake im Sommer, doch kaum rieb Morag sie damit ein, war auch der Schmerz gebannt. Eine Zeit lang wenigstens. Denn sie wirkte jeweils nur einige Stunden, dann musste sie erneut aufgetragen werden. Davon könnte ich jetzt gut ein wenig gebrauchen, seufzte sie im Stillen und drehte sich vorsichtig auf die Seite, um voller Hoffnung einen Blick auf die Frau zu werfen, die neben ihr schlief.
Dabei verrutschte das Fell, und etwas Feuchtes, ein Regentropfen, wie sie zunächst meinte, fiel ihr aufs Gesicht. Gereizt wischte sie ihn fort und war nicht wenig erstaunt, als sie auf einmal Sand zwischen den Fingern spürte. Unwillkürlich schaute sie nach oben, wo ihr Blick auf einige Gestalten fiel, die sich völlig lautlos in der Baumkrone über ihr verbargen und gespannt den Zug unter sich beobachteten.
Kyla wollte gerade den Mund öffnen, um ihre Eskorte zu warnen, als ein lang gezogener, gellender Schrei die Stille zerriss. Er klang so wild und Grauen erregend, dass es ihr eiskalt über den Rücken lief. Fast gleichzeitig erhoben sich an die hundert Stimmen zu einem mächtigen Geheul, und Kylas Gruppe kam gezwungenermaßen zum Stehen.
Mit der Hand seitlich am Wagen nach Halt suchend, sah Kyla verblüfft, wie ein Mann mit einem geschmeidigen Satz vom Baum sprang und direkt zwischen ihr und Morag landete. Die Augen weit aufgerissen, starrte sie ihn an. Ein Sonnenstrahl, der durch die Bäume fiel, wurde von seinem Schwert zurückgeworfen, und im hellen Glanz dieses Lichts schien sein rotbraunes Haar zu erglühen. Kyla ließ ihren Blick über die Gestalt des Mannes gleiten. Er trug, wie in Schottland üblich, einen karierten Rock, der in der leichten Nachmittagsbrise flatterte, und so konnte sie seine nackten Beine bis hinauf zu den Oberschenkeln sehen. Sehr ansehnliche Beine, bemerkte sie mit einem gewissen Interesse, das in ihrer Lage eigentlich völlig unangebracht war. Schlanke Fesseln, muskulöse Waden, wohlgeformte Knie und starke Oberschenkel, registrierte sie wie gebannt, als er plötzlich das Schwert hochriss und dabei erneut einen gellenden Schrei ausstieß.
Wie der Schrei eines Toten, der in die Hölle fährt, dachte Kyla unwillkürlich. Nicht enden wollend und Ohren betäubend, schien sich dieser Schrei direkt durch die Schädeldecke ins Gehirn zu bohren. Ihr Kopf pochte vor Schmerzen, fast so schlimm wie ihr Rücken, und noch schlimmer, als auch das Geheul in den Bäumen wieder anhob. Fast gleichzeitig ließ sich eine Gestalt nach der anderen von den Ästen fallen, und auf der ganzen Lichtung brach Chaos aus, überall erschollen Warnrufe und Schmerzensschreie. Der Kerl aber, der zu ihren Füßen stand, sprang jäh vom Wagen und entschwand ihrem Blick.
Kyla schloss kurz die Augen, biss die Zähne zusammen und hievte sich hoch. Geschwächt von dieser Anstrengung, verweilte sie kurz auf Knien und Händen. Ihre Arme zitterten, der Wagen unter ihr schien zu wanken, doch sie atmete