Kapitel 1
Sandra benimmt sich wie eine Schlampe, über deren Kopf eine Leuchtreklame mit »Fick mich« blinkt.
Von Trauer keine Spur!
Sie amüsiert sich köstlich und benimmt sich wie eine Edelhure auf Poppers. Sie genießt die Kreuzfahrt in vollen Zügen. Wenn man es nicht besser wüsste, käme man niemals auf die Idee, dass sie frisch verwitwet ist und ihren verstorbenen Mann gerade erst unter die Erde gebracht hat.
Woher ich das weiß?
Sie ist meine Mutter, und sie hat meinen Vater offenbar sehr viel schneller vergessen als ich. Sommer, Sonne, Meer und etliche attraktive und gut betuchte Herren finden auf dieser Kreuzfahrt Gefallen an ihr. Sektchen hier, Häppchen dort, Küsschen links und rechts, ein schneller kleiner Fick am Rande … ja, Mama hat sehr viel Spaß.
Wenn ich sie darauf anspreche, erklärt sie mir, dass sie das tut, um ihren Schmerz über den Verlust ihres geliebten Mannes zu bewältigen.
»Jeder geht eben anders mit seiner Trauer um«, sagt sie dann und zuckt unschuldig die Achseln, führt ihr Glas zum Mund und trinkt Champagner, der so etwas wie ein Lebenselixier für sie ist. Natürlich kaufe ich ihr diese Art von Trauerbewältigung nicht ab. Mutter ist eine falsche Schlange, sie ist eiskalt, berechnend, und es gibt nur einen einzigen Menschen, für den sie sich wirklich interessiert – und das ist sie selbst. Ich habe es deshalb schon aufgegeben, mit ihr über Trauer und ihre persönliche Art der »Bewältigung« zu sprechen.
Für sie macht es keinen Unterschied, dass ihr Mann – mein Vater – nicht mehr unter uns weilt. Sie tut weiterhin das, was sie immer schon getan hat, und sie hat schon zu Papas Lebzeiten Liebhaber gehabt und ihren Trieben freien Lauf gelassen. Einmal hat sie kurz erwähnt, dass auch Papa sie einmal betrogen habe und dass aus dieser Affäre eine Tochter hervorgegangen sei, von der sie jedoch nichts Näheres wisse. Das allerdings nahm Mama immer wieder als willkommene Rechtfertigung dafür, meinen Vater nach Strich und Faden zu betrügen. Meiner Meinung nach hat sie immer nur mit ihm gespielt – und er hat in seiner Großherzigkeit mit sich spielen lassen.
Ich müsste meine Mutter eigentlich bedauern, vielleicht sogar hassen und verabscheuen. Doch das Perverse ist: Ich begehre sie, und das seit dem Tag, als ich erstmals anfing, mich für das andere Geschlecht zu interessieren.
Auf dem Sonnendeck nimmt sie in einer Liege neben dem Pool Platz, räkelt sich so grazil, dass mein Herz und mein Schwanz bei ihrem Anblick sofort einen sehnsüchtigen Tanz aufführen. Meine Mutter ist von Verehrern umringt. Sie genießt die Aufmerksamkeit und spielt ihre Spielchen mit ihnen. Ich weiß, Mama ist eine Meisterin darin, Männern Hoffnungen zu machen. Sie sollen glauben, sie ins Bett zu bekommen und ficken zu dürfen. Irgendeiner in der Traube um sie herum wird wohl der Glückliche sein, und ich will nicht darüber nachdenken, wer es ist. Ich spüre Eifersucht …
Sie schaut zu mir, sieht mich, winkt mir und prostet mir mit Champagner zu. Ich winke zurück und lächle, obwohl mir nicht danach ist.
Warum wir diese Kreuzfahrt machen? Weil Papa der Eigentümer dieser Kreuzfahrtlinie war und uns nicht nur die Linie und seinen ganzen Reichtum vermacht hat, sondern weil er auch wusste, dass das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir – höflich ausgedrückt – angespannt ist und immer schon angespannt war. Deshalb hat er in seinem Testament verfügt, dass wir diese Reise über die Weltmeere machen sollen, um uns näherzukommen und ein Herz und eine Seele zu werden. Ich habe nichts dagegen, Mutter sehr nahezukommen. Aber ob wir jemals Friede, Freude, Eierkuchen praktizieren werden, das wage ich zu bezweifeln.
Doch es steht noch etwas anderes im Hintergrund. Bislang haben wir nur einen Teil des Erbes erhalten. Der volle Nachlass m