2.
Während der nächsten Stunden dachte keiner der Arwenacks mehr an Schlaf. Zum einen belastete sie die Ungewißheit, ob der Musketenschuß möglicherweise von Portugiesen gehört und richtig gedeutet worden war, zum anderen hatte Hasard eine Lagebesprechung angeordnet.
Dan und Don Juan berichteten abwechselnd, was sie in Erfahrung gebracht hatten. Keiner zweifelte daran, daß Albuquerque seine Gefangenen öffentlich verbrennen würde.
„Wenn er das tut“, sagte Edwin Carberry im Brustton der Überzeugung, „schlage ich ihn ungespitzt in den Boden. Und sollte es das Letzte sein, was ich in diesem Leben anfange.“
„Du hättest keine Chance, Ed.“ Der Spanier winkte unmißverständlich ab. „Ich bezweifle, daß einer von uns nahe genug an Albuquerque herankommen würde.“
„Unsinn“, widersprach der Profos scharf. „Zumindest auf den Abtritt geht er allein. Da ist noch jeder Herrscher allein hingegangen.“
Die Männer lachten. Die Vorstellung, Seine Durchlaucht in einer Situation zu überraschen, in der er gleichsam hilflos war, wirkte erheiternd.
„Was willst du tun, Ed?“ fragte Old Donegal. „Ihm eine Flaschenbombe unter den Achtersteven legen?“
„Warum nicht gleich ein ganzes Pulverfaß?“ schlug Bob Grey vor.
Der Seewolf mahnte zur Ruhe.
„So können wir jedenfalls nicht vorgehen“, sagte er. „Die Frage ist: Ahnt Albuquerque, daß wir uns noch in der Nähe von Malakka aufhalten?“
„Bis wir eine Antwort darauf haben, ist es wahrscheinlich schon zu spät“, erwiderte Don Juan de Alcazar. „In der Stadt wimmelt es inzwischen wahrscheinlich von Seeleuten und Soldaten.“
„Wir fürchten keine Übermacht. Das haben wir noch nie getan.“ Der Profos rieb sich die Pranken, daß es klang, als würden Eisenspäne gefeilt. „Der direkte Angriff ist immer die beste Verteidigung. Ich schlage vor, wir laufen Malakka in der Morgendämmerung an, versenken die im Hafen liegenden Schiffe mit einem überraschenden Feuerschlag und beschießen danach Albuquerques Palast und alle portugiesischen Bauten, während ein Stoßtrupp das Gefängnis stürmt und unsere Männer befreit. Selbstverständlich übernehme ich die Führung. Es müßte schon mit dem Teufel zugehen …“
„Genau das wird es, Mister Carberry“, unterbrach ihn Don Juan. „Das Gefängnis ist nicht im Handstreich zu nehmen. Wir würden auf jeden Fall zuviel Zeit brauchen. Ich fürchte, bis wir die vier erreichen, sind sie längst tot.“
Der Profos wandte sich Dan zu. „Bist du derselben Meinung?“
Dan O’Flynn nickte. „Das Gefängnis scheidet aus. Jedenfalls für einen Sturmangriff. Wir haben auch keine Möglichkeit, uns einzuschmuggeln, denn die Portugiesen überprüfen jeden einzelnen und lassen nicht mal jeden malaiischen Wächter bis zu Al und den anderen vor. Abgesehen davon wurden unsere Leute in verschiedene Verliese geworfen.“
„An Albuquerques Stelle würde ich ebenfalls damit rechnen, daß die Engländer das Gefängnis zu stürmen versuchen“, sagte Batuti, der schwarzhäutige Gambiamann. „Folglich wimmelt es in den Verliesen von Soldaten, und in dem Fall stehen wir von vornherein auf verlorenem Posten.“
„Andererseits streiten wir vielleicht um des Kaisers Bart“, behauptete Jung Philipp. „Wer sagt denn, daß der Ober-Portugiese tatsächlich an uns denkt?“
„Albuquerque ist nicht dumm“, widersprach Dan O’Flynn. „Nach allem, was bisher war, kann er sich zusammenreimen, daß wir unsere Männer nicht im Stich lassen.“
„Das ist genau meine Absicht“, sagte der Seewolf und fragte übergangslos: „Wie viele Schiffe liegen im Hafen?“
„Vier Karavellen und die drei Küstenschaluppen, die an der Suche nach den Verschollenen beteiligt waren. Außerdem einige malaiische Lastensegler. Aber nur die gut bestückten Kriegskaravellen können uns gefährlich werden.“
„Du vergißt den Viermaster, dem wir vor Malakka begegnet sind, Juan“, sagte Dan. „Womöglich hat Seine Durchlaucht Verstärkung angefordert.“
„Damit stehen dann fünf große Schiffe gegen unsere Schebecke.“ Ben Brighton, der Erste Offizier, seufzte ergeben. „Kein besonders gutes Verhältnis.“
Carberry zuckte mit den Schultern.
„Wir haben schon ähnlich aussichtslose Gefechte überstanden. Außerdem liegen die Karavellen vor Anker, während wir unter vollen Segeln angreifen können.“
„Was ist mit den Küstenbatterien?“ fragte Jung Philipp.
„Albuquerque hat einige schwere Stücke auf den Mauern stehen“, erwiderte Don Juan gedehnt. „Sie bestreichen nahezu den gesamten Hafenbereich. Andererseits gefährden die Kanonen die eigenen Schiffe, wenn wir nahe genug an die Karavellen herangehen.“
„Das Problem erledigt sich also weitgehend von selbst“, sagte Ben Brighton erleichtert.
„Den Rest besorgen wir mit Ferris’ Rauchbomben“, schlug Big Old Shane vor, der frühere Schmied und Waffenmeister von Arwenack. „Wir nebeln uns weiträumig ein. Ich möchte den Kanonier sehen, der uns dann noch trifft.“
„Ferris?“
Der Schiffszimmermann vollführte eine zustimmende Geste. Er wußte sofort, was Hasard von ihm wollte.
„Der Vorrat ist auf jeden Fall ausreichend“, antwortete er. „Sofern der Wind nicht weiter auffrischt, können wir die Rauchbomben einsetzen.“
„Auf was warten wir also?“ Carberry schlug die zur Faust geballte Rechte in die linke Handfläche, daß es wie ein Kanonenschuß krachte. „Wir müssen den Anker lichten und angreifen, bevor der Tag anbricht.“
„Genau das tun wir nicht“, widersprach der Seewolf. „Du scheinst nicht zugehört zu haben, Ed.“
„Klar habe ich das, Sir.“
„Dann wüßtest du, daß wir uns wahrscheinlich die Zähne ausbeißen, sobald wir das Gefängnis zu stürmen versuchen.“
„Aber …“
Hasard lächelte vielsagend. „Warum bestärken wir Albuquerque nicht in dem Gefühl, daß er die erste Schlacht gegen uns gewonnen hat? Zuviel Siegessicherheit stimmt unvorsichtig. Wenn seine Gefangenen erst auf dem Scheiterhaufen stehen, wird er keinen Angriff mehr erwarten.“
„Du riskierst ein Spiel mit dem Feuer, Dad!“ rief Jung Hasard dazwischen. „Falls wir aufgehalten werden und nicht rechtzeitig eingreifen können, brennen die vier. Und sie spielen gewiß nicht gern die Märtyrer.“
„Wir sind früh genug an Ort und Stelle. Dan, Juan und Bill kennen inzwischen die Verhältnisse von Malakka.“ Der Seewolf blickte auffordernd in die Runde. „Wer ist mit von der Partie?“
„Da es gegen die Portugiesen und Albuquerque geht, vermutlich alle“, erklärte der Profos. Er behielt recht. Keiner der Männer wollte zurückstehen.
Sogar Mac Pellew, der meist griesgrämige zweite Koch, verschaffte seinem Ärger Luft: „Vergiften sollte man den Halunken. Mit seiner eigenen Bosheit.“
Richtig frei darüber lachen konnte jedoch keiner der Arwenacks.
Eine Stunde nach der Besprechung – es war kurz nach vier Glasen, also nur wenig später als zwei Uhr morgens – legten die beiden Jollen, voll bemannt, von der Schebecke ab. Zwanzig Arwenacks fieberten darauf, den Portugiesen einen Denkzettel zu verpassen, den diese sicher nicht so schnell vergessen würden.
Bewaffnet waren sie mit Pistolen und Messern, die sich unter jeder Kleidung verbergen ließen. Musketen waren eher hinderlich, nichtsdestotrotz führten sie in jedem Boot mehrere langläufige Feuerrohre mit. Im Bugschapp vor überkommendem Seewasser gut geschützt, lagen außer den längst bewährten Höllenflaschen einige von Ferris Tuckers neuen Rauchbomben und außerdem Pulverfässer.
Bislang hatten die Männer nur eine vage Vorstellung, was sie in Malakka erwartete. Ihr weiteres Vorgehen hing von den Gegebenheiten ab, die sie antrafen. Zumindest bis zum Mittag blieb ihnen Zeit.
Albuquerque würde seine Gefangenen nicht eher hinrichten lassen, denn für ihn bedeutete der Flammentod der englischen Spione mehr als nur eine persönliche Genugtuung – er versprach sich zugleich eine abschreckende Wirkung auf jene Malaien, die nach wie vor seinen...